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Die evangelische Kirche in Gronau mit ihren künstlerischen Glaubenszeugen

von Walter Heil

Dieser Beitrag erschien in der Festschrift 1200 Jahre Gronau der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ 1986.
Herr Walter Heil hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Vor der Heimatkirche

Und wieder stehe ich vor dir,
du Haus des Friedens, Haus des Herrn,
beglückt zutiefst, daß ich allhier
dem lauten Tageslärm bin fern.

Empor in eine reinre Welt
woll’n schon des Aufgangs Stufen führen;
der Menschen Jagd nach Gut und Geld
darf an das Heilige nicht rühren.

Der Turm weist uns tagein, tagaus
empor zu Gott, dem Herrn der Welt,
in dessen lichtem Vaterhaus
der Erde Schwere von uns fällt.

Ihr Glocken seid der Freude Boten,
könnt aber auch voll Wehmut klagen,
wenn wir so manchen lieben Toten
zur letzten Ruhestätte tragen.

Ihr sturmerprobten, alten Bäume,
die bei dem Gotteshause steh’n,
träumt weiter eure stillen Träume
vom ew’gen Werden und Vergehn.

0 gehet oft hier ein und aus,
ihr Menschenkinder groß und klein!
Mög‘ jeder Gang zum Gotteshaus
ein wahrer Segen für euch sein!

1952
von Schulrat Heinrich Walter aus Rendel

Das Dorf braucht seine Kirche

Nach Schließung und Verlust der Gronauer Schule 1964, die über 450 Jahre mit ihrem eigenen Lehrer ein kultureller Mittelpunkt war, und Auflösung der Bürgermeisterei 1971 durch den Anschluß an die Stadt Bad Vilbel, blieb den Gronauer Bürgern jetzt nur noch ihre Dorfkirche. Die Anwesenheit eines Pfarrers, das Bestehen von Kirchenvorständen, kirchlichen Mitarbeiterschaften und Helfergruppen ist für das Dorf der Gegenwart und Zukunft eine Chance für den Glauben, die Gemeinschaft und die dörfliche Kultur.

Zeichnung der Kirche
Die evangelische Kirche in Gronau, Anfang des 20. Jahrhunderts (Zeichnung Historisches Museum Hanau)

Gronau hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, nachdem es jahrhundertelang seine Gestalt und sein dörfliches Aussehen bewahrt hatte. Das Dorf wurde wieder entdeckt, erhielt eine neue Anziehungskraft und erfreut sich zunehmender Beliebtheit als Wohnstandort. Schien es vor einiger Zeit wegen verschiedener Nachteile noch vom Untergang bedroht, so ist es jetzt neben der Stadt als gleichrangiger Lebensraum für die Zukunft gesichert. Den Nachteilen stehen als Vorteile die größere Nähe zur Natur, wie hier die Aue, die engeren menschlichen Beziehungen in Nachbarschaft, Kirche und Vereinen sowie die Möglichkeit, günstiger zu einem eigenen Heim zu kommen, gegenüber. Die Lebensqualität des Dorfes hängt davon ab, wie es uns gelingt, Tradition und Moderne zu verbinden, Überlieferungen zu bewahren und für Neues offen zu sein.

Die alte Chronik der evangelischen Pfarrei Gronau – Classe, Bergen – Diözese Hanau -bringt unter „IND“ (in nomine deo – im Namen Gottes) folgende Ortsbeschreibung: „Grunau liegt 2 1/2 Stunden NW von Hanau, 1 Std. NNO vom Amtsorte Bergen, auf der nördlichen Abdachung des sogenannten Bornheimer Berges, SW nach NO streuend an der Nidder, etwas oberhalb der Stelle, wo sie in die Nidda fließt. In Gronau eingepfarrt sind der Gronauer Hof, früher Klein-Gronau genannt (8 bis 10 Min. entfernt, eine Staatsdomäne), der Dottenfelder Hof, im Volksmund der Pfaffenhof genannt, eine Besitzung des Landgrafen von Hessen (25 Min. entfernt) und zum Schluß die Riedmühle (5 Min. entfernt)“.

Im ältesten Kirchenbuch aus dem Jahre 1664 und auch später wird das Dorf an der „grünen Aue“ stets mit Grunau bezeichnet. Mit Recht, so die Eintragung, würde der Ort im schönen fruchtbaren Tal diesen Namen verdienen.

Im Ortskern, umgeben von einem alten, ehrwürdigen Friedhof, erhebt sich in Ost-West-Richtung die evangelische Kirche. Mit dem barocken Dachreiter ist sie so zum beherrschenden Wahrzeichen des Dorfes geworden und prägt die gesamte Silhouette. Sie hatte als Vorläuferin eine Kapelle, die 1571 erbaut worden war, bis an ihrer Stelle 1718/19 die heutige Kirche errichtet wurde. Der Ostteil – der Chor – wird durch Überlieferung von den älteren Leuten noch heute „es Kapellche“ genannt.

Die alte Chronik erwähnt zum Neubau folgendes: „Die Kirche zu Gronau, zu welcher am 10. Mai 1718 der Grundstein gelegt wurde, ist am 11. Sonntag nach Trinitatis 1719 durch Ihrer Hochwürden, Herrn Superintendent Meuschen aus Hanau, eingeweiht worden“.

Weiter berichtet die Chronik: „Die Kirche ist ein massivsteinernes Gebäude mit auf der Westseite stehendem hölzernem Turm (Dachreiter), der, mit Schiefer bedeckt, eine schöne Kuppel mit schmiedeeisernem Kreuz hat. Die Kirche ist aus eigenen Mitteln der Gemeinde erbaut und hat 1821 sowie 1853 durchgreifende Reparaturen erfahren“.

Was baufällig geworden war, wurde nicht in der alten Form, sondern im jeweiligen Zeitstil ergänzt. So mußte sich die Kirche allerlei Veränderungen gefallen lassen. 1868 wurden größere Fenster im neugotischen Stil eingebaut. Die oberen Spitzbogen sind mit einem Maßwerk versehen, das mit buntem Glas verbleit ist, während alle anderen Flächen aus durchsichtigem Glas den barocken Kirchenraum mit hellem Licht durchfluten lassen.

Der Dachreiter trägt die beiden Kirchenglocken. Die kleine, alte Glocke hat die Aufschrift: + in windecken gos mich 1752 + Johann Peter Bach + in gotesnahmen flos ich +. Ein wichtiges, feierliches Ereignis für die Gemeinde war Anfang November 1952 die Ankunft und das Hängen der neuen Glocke, denn die frühere zweite Glocke war im Kriegsjahr 1941 zum Einschmelzen (für Kanonen) geholt worden. Die neue Glocke erhielt am 28.10.1952 bei ihrem Guß folgende Inschrift:

„in spem – contra spem – Jesus Xristus Rex“
(auf Hoffnung – gegen alle Hoffnung – König Jesus Christus)

Die Kirchengemeinde Gronau 1952: „Bei einem Festgottesdienst am 3.11.1952 läuteten zum ersten Male die neue und die genau 200 Jahre ältere Glocke gemeinsam.“

Heute können wir ruhig sagen, daß alle baulichen Veränderungen, einschließlich der gotisierenden Fenster, sich gut in das Barockgebäude eingefügt haben und eine geschlossene Einheit bilden. Die Proportionen des hohen Kirchenschiffes verlangten auch einen größeren gestreckten Turmhelm und Dachreiter. Dieser ist gekrönt von einem schmiedeeisernen Kreuz. Es ist reich verziert mit Verschnörkelungen, Geranke und Laub darstellend, vier Schwänen und dem thronenden Wetterhahn. Der Kunstschmied hat hier in einer barocken Vielfalt dem Eisen die höchste Formgebung in einer leichten, luftigen Art verliehen. Eine solch reiche Ausführung ist in unserer Heimat selten auf Kirchtürmen zu finden.

Wetterhahn auf der Kirchturmspitze
Schmiedeeisernes Kreuz aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf dem Dach der Evangelischen Kirche im Stadtteil Gronau.

Das Gotteshaus steht, von einer Mauer begrenzt, inmitten des alten „Todtenhofes“. Ein ehrwürdiges „Memento mori“ – in der Sprache früherer Jahrhunderte – wird hier lebendig.

Außen, an der Nordwand der Kirche, stehen vier einsame Grabplatten. Ursprünglich gehörten sie zu Gräbern auf dem ehemaligen Kirchhof, der bis 1846 um das Gotteshaus herum lag. Irgend jemand hat damals Sorge getragen und sie bei der Räumung zur Seite gestellt und so späteren Geschlechtern als Erinnerung bewahrt. Sind auch die Gebeine zerfallen, die steinernen Bildplatten überdauerten die Zeit. Wer wollte da schon achtlos an ihnen vorüberschreiten? Die Steine sprechen über die Jahre hinweg. Man braucht nur ein wenig Ruhe, um ihre Stimmen zu hören. Sind diese vier steinernen Erinnerungsstücke von zwei ehemaligen Pfarrern, einem Zentgrafen und der Tochter des Schultheißen auch nur von lokaler Bedeutung, so lohnt es sich doch, die Familiengeschichten aus den in hellgrauem und rotem Sandstein gemeißelten Bildwerken herauszulesen. Inschriften, Verzierungen und Bildreliefs sind teilweise kunstvoll von den Steinmetzen gearbeitet worden. Die Jahrhunderte haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Leider sind zwei der vier Steine stark verwittert, bei einem die Schrift praktisch nicht mehr zu erkennen. Der größte und am reichsten gestaltete Grabstein erweckt sogleich unser Interesse:

Foto eines alten Grabsteins

Text des Grabsteines

 

Denkmal der Grabhaur

Eines neuen Lehrers und Ehegatten war Ernst Christian Müller gewesen in Sehlsorgender Gemeindearbeit zu Gronau .

er war daselbst am 21 te Oktober 1732 gebohrn

Bekam 1756 das PfarrVICARIAT und 1763 das Pfarramt Christengemeind • welches er mit einerTreue bis an sein Ende führte heurathet 1787 Jungfer Henrietten Wilhelminen, gebohrne Rübsamen zu Münzenberg mit welcher er eine zufriedene Ehe Führte starb den 14ten Febrorari 1795 in dem ruhmvollen Alter von 62 Jahren 4 Monaten Getreuen Tod beklaget die Trauernde Wittwe welche ihm dieses Liebes Monument hat errichten laßen

 

Der obere Teil zeigt ein religiöses Bildrelief. Die beiden schwebenden Engel halten mit der einen Hand das flammende Herz und mit der anderen die über allem schwebende Krone. Eine Darstellung, die die Liebe und Treue des Toten verkörpern und dessen Seele zum ersehnten Himmelreich führen soll.

Foto eines alten Grabsteins

Die Schrift des zweiten Grabsteines ist leider nicht mehr zu entziffern, aus früheren Aufzeichnungen geht aber hervor, daß es sich um den Gedenkstein von Johannes Mickelius

XXXIV Jahre- 1680- 1714 PFARRER ZU GRONAU

handelt. Der obere Teil des Steines über dem Medaillon ist sehr reichhaltig und mit symboli-schen Zeichen ausgearbeitet. Auf einer abgelaufenen Sanduhr ist die Weltkugel mit dem Kreuz dargestellt, beides wird von einer Krone überdacht. Links und rechts davon schweben Engel, ein Schnörkel- und Rankenwerk haltend.

Die dritte Steinplatte gehörte zu dem Grab von

Sebastian Schwind, Zentgraf geb. 1713, gest. 1783 verh. mit Susanne Laupus

Aus der verwitterten Schrift kann man leider nur noch folgendes herauslesen:

„Laudatum
habe stets gerichtet, ich habe einen guten Hauch Gerechtigkeit, habe den Lauf vollendet, ich habe Menschen geholfen.“

Foto eines alten Grabsteins

Auch hier hat der Steinmetz schmückende Formen zur Ehre des Toten verwendet. Ein Engelköpfchen wird von Flügeln getragen, alles wird eingerahmt von Blumen.

Schließlich erwartet uns noch der vierte und letzte Grabstein. Nur ein Text kündet hier von dem Tod eines 22jährigen Mädchens, der Toch-ter des Schultheißen.

HIER
RUHET IN GOTT-JUNGFRAU ANNA MÄR GARETA- HERSCHAFT LICH • SCHULTHEIS CHRISTOPH • LOREI EHELEIBLICHETOCH TER -VON STEINBACH • WAHR EHLICH -VER SPROCHEN MITCASPER LAUBUS- STARB DEN 4. TAG NOVEMBER-1749CASIMIR -ALT 22 JÄH R 6 MONAT

Die Stille des Gottesackers mahnt zur Besinnung. Auch diese Grabdenkmäler verraten die uralte menschliche Bemühung, die Erinnerung an leibliche Existenz zu erhalten und die Menschen zum stillen Gedenken zu bewegen.

Wer kann einen auf einem Friedhof in Stein gehauenen alten Spruch schon beantworten, vor den sich eines Tages jeder Mensch gestellt sehen wird?

„Was ist doch alle Welt Prachtt
Weill der Dott kommt über Nacht
und alle Ding zunichte macht?“

Auf der Südseite des Kirchhofs, im Schatten einer alten Esche, hat die Gemeinde das Soldatenehrenmal errichten lassen. Im ersten Weltkrieg (1914-1918) kehrten von den 85 Feldzugteilnehmern der Gemeinde Gronau 10 Männer nicht mehr in ihr Heimatdorf zurück. Noch weitaus schlimmere Wunden riß der zweite Weltkrieg (1939-1945) dem Ort: 31 Gefallene und Vermißte waren zu beklagen, wahrlich ein hoher Blutzoll für den kleinen Flecken von damals 534 Seelen.

Im Innenraum der Kirche, an der Südwand, finden wir die Gedächtnistafel vom Deutsch/Französichen Krieg 1870/71, bei dem von den 15 Soldaten des Ortes zwei ihr Leben lassen mußten.

Außerdem ist noch eine Erinnerungstafel von 1814 in der Kirche vorhanden, auf der die Namen der sechs „Vaterlandsbefreier von Napoleon“:

Böckel, G. Meisinger, Schwind, Geibel, Falk und J.P. Meisinger aufgeführt sind. Alle kehrten Gott sei Dank wieder heim.

Alle toten Soldaten rufen uns Lebenden zu:

„Vergeßt uns nicht und haltet Frieden!“

Die Kanzel

von Walter Heil

Dieser Beitrag erschien in der Festschrift 1200 Jahre Gronau der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ 1986.
Herr Walter Heil hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Zum Schluß wollen wir uns der letzten künstlerischen Aussage unserer Kirche, der Kanzel mit ihrem besonderen Schalldeckel, zuwenden. Hier begegnet uns eine Symbolik, ein heiliges Zeichen, das durch das Zusammentreffen einer natürlichen Erscheinung mit der Spähre des Göttlichen entsteht. Damit erhält ein an sich profaner Gegenstand – das Pelikanmotiv – einen religiösen Sinn und vermittelt so dem Menschen die Gegenwart des Heiligen. Neben dem Fisch gehört das Pelikanmotiv zu den ältesten christlichen Zeichen. Bereits im 3. Jahrhundert erscheinen solche Darstellungen auf altchristlichen Lampen. Man schreibt dem Pelikan die Fähigkeit zu, seine Jungen mit dem Blute seiner aufgerissenen Brust zu nähren. Von Augustus wie auch von anderen Kirchenschriftstellern wird besonders dieses Vogelmotiv als Symbol des leidenden Christus, seines Opfertodes, gedeutet und somit auf die heilige Eucharistie be-zogen. Im Mittelalter und in der Barockzeit finden wir diesen Pelikan auf Altären und bei Kreuzen. Daß er aber über einer Kanzel seinen Platz gefunden hat, ist äußerst selten, ja vielleicht sogar einmalig.

Foto des Storches (Pelikan) auf der Kanzel
Der Gronauer Pelikan

Auf einem reich verzierten Schalldeckel tragen acht geschweifte, bewegte Stützbögen, einer Kuppel gleich, das Nest mit der Pelikanmutter und deren drei Jungen. Aus der tiefen, klaf-fenden Brustwunde will sie die bettelnden Kleinen mit ihrem Blute nähren. Die großen Flügel sind ausgebreitet und vermitteln so eine schützende Wärme.

Es war bestimmt kein berühmter Meister, der diese Gruppe anfertigte, denn wir erleben hier eine echt volkstümliche, ja naive Arbeit. Um so stärker zeigt diese Darstellung aber in ihrer Aussagekraft das Symbol der sich aufopfernden Mutterliebe.

Der barocke Schalldeckel der Kanzel war im Laufe der Zeit durch Holzwurmbefall stark ge-schädigt worden. Die Landeskirche Kurhessen/ Waldeck in Kassel lehnte die benötigten Geldmittel für eine Restaurierung ab, es sollte praktisch alles entfernt werden.

Nachtrag: Der barocke Schalldeckel war im Laufe der Jahrhunderte vom Holzwurm zerfressen. In den 60er Jahren lehnte die Landskirche einen Antrag auf Geldmittel für die Restaurierung ab.Der 1967 von dem Gronauer Meister Kummethat geschnitzte Figur und die von Schreinermeister Gerhard Wenzel neu gefertigte Schalldecke der Kanzel ist ein Geschenk der großzügigen Spenderin  Frau Liselotte Gahre, Dottenfelderhof, Tochter von Frau Albert. 

Die Orgel

von Walter Heil

Dieser Beitrag erschien in der Festschrift 1200 Jahre Gronau der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ 1986.
Herr Walter Heil hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Das dekorative Prunkstück der Kirche bildet die Orgel aus dem Jahre 1777, die der Hanauer Orgelbauer Henrich Jakob Sier für 500 Gulden an die Gemeinde lieferte. Die Vorderseite, das sogenannte Prospekt, präsentiert die sichtbaren Pfeifen und das schmückende, mit Ranken und Blumen reich verzierte Holzwerk. Die ganze Hochblüte der Kunst des Barock im 18. Jahrh. zeigt sich hier in dieser kleinen Dorfkirche in dem prunkvollen ornamentalen Schmuckwerk und dem elegant schwingenden Linienspiel. Die Überwindung aller Materie hat hier den Ausdruck der Leichtigkeit.

Das „Gesicht“ der Orgel ist durch acht Pfeiler und den dazugehörigen großen und kleinen Prosepktpfeifen in Teilwerke gegliedert, alles wird durch eine strikt gewahrte Symmetrie zusam-mengehalten und von vergoldeten, heiteren Verschnörkelungen festlich umrahmt.

Historisches Foto der Orgel
Die Gronauer Orgel von 1777

Dazu treten noch als Lieblingsmotiv der Renaissance, des Barock und Rokoko die beiden pausbackigen Putten, die eine Posaune in den Händen halten. Als Konsolefür diese beiden verspielten Engelchen dient der geschwungene Gesimsaufsatz zu beiden Seiten der Pedaltürme des Prinzipal.

In dieser sakralen Baukunst entfalten sich reiche Formen zu Großartigkeit und Würde. Es tönt mit einem Schwung das „Sursum corda – Empor die Herzen“ in den kirchlichen Raum.

Im Laufe der Jahrhunderte waren ei n ige Reparaturen nötig, bis im Zuge der Gesamtrenovierung 1968 ein neues Werk mit 11 Registern und 2 Manualen eingebaut wurde. Der optische Eindruck wird durch den akustischen ergänzt, das Bild durch den vollen Klang.

Eine ausführliche Dokumentation über die lange Leidensgeschichte der Gronauer Orgel finden Sie hier

Der Kruzifixus über dem Altar

von Walter Heil

Dieser Beitrag erschien in der Festschrift 1200 Jahre Gronau der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ 1986.
Herr Walter Heil hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Tod und Auferstehung – das sind die beiden Kernpunkte der christlichen Gedankenwelt. Das Kreuz – Symbol des christlichen ErlösungserBemühungen haben nun folgendes ergeben:
Johann Wolfgang Fröhlicher, geboren 1652 in Solothurn/Schweiz, kam 1675 nach Frankfurt, nachdem er zuvor in Rom Bernini kennengelernt hatte und lebte bis kurz vor seinem Tod 1701 in der Stadt. Er hat sich einen großen Namen erworben und ist bestimmend für die mittelrheinische Barockplastik. Unter anderem schuf er für die Ka-tharinenkirche in Frankfurt einen großen Altar aus Marmor (er wurde im Krieg vernichtet), zwei Grabmale von Kurfürsten im Mainzer Dom tragen seinen Namen, einen Altar lieferte er nach IIbenstadt, außerdem geschnitzte Engel für das dortige Kloster. Im Fuldaer Dom finden wir ebenfalls Arbeiten von ihm und seiner Schule. Das größte Altarwerk von Fröhlicher aber steht in Trier, im Ostchor des Domes. Rastlos war dieser Mann tätig.

Foto des Kruzifix
Das Kruzifix aus dem Jahr 1684

Aber nun zu unserem Gronauer Kruzifix.
Zwei Kunsthistoriker aus Frankfurt und Mainz ordnen ihn als einen „Fröhlicher“ ein.
Beide Kunstexperten sind sich aber darüber einig, daß die Arme nicht von Johann Wolfgang Fröhlichers Hand sein können, sie sind zu plump und stimmen nicht in den Proportionen.
Der gesamte andere Korpus dagegen zeugt von einer lebensvollen, anatomischen Durchgestaltung, alles ist in feinster künstlerischer Weise, wie sie Fröhlicher eigen war, herausgearbeitet. So müssen wir also annehmen, daß vor 100 oder vielleicht auch schon vor 200 Jahren die Arme, die irgendwie schadhaft oder zerstört waren, von einem anderen Künstler wieder ergänzt und angesetzt wurden. Dieser Kruzifixus stellt somit das älteste Kunstwerk – es ist bereits aus der vorhergehenden Kapelle übernommen worden – dar. Mit berechtigtem Stolz kann die evangelische Gemeinde auf dieses wertvolle Kreuz schauen, zumal der Frankfurter Bildhauer Johann Wolfgang Fröhlicher in letzter Zeit wieder in das Interesse der kunstgeschichtlichen Forschung gerückt ist.

Beschreibung: Der Lendenschurz wird einfach von einem um die Hüfte gewundenen Strick gehalten; das eine Ende flattert wie im Winde zur linken Seite. Es ist die bewegte Form, ein Kennzeichen des beginnenden Barockelementes. Der Korpus hängt lang herab, seine bewegte Umrißführung gipfelt im Haupt, das wallende Haar ist durch die Dornenkrone gehalten. Erlöst und ergeben ist das Antlitz in die Stille des Todes hinabgesunken. Alle Qual und Verlassenheit des Sterbenden liegt weit zurück; geblieben ist der stille Ausdruck der Überwindung des Todes. Eine Besonderheit zeigt hier der Holzschnitzer:

Die Hände sind wie zum Schwur ausgestreckt. Diese Aussage könnte aber auch als segnende Geste verstanden werden. Getreu bis in den Tod:

Nimm dein Kreuz auf dich und du wirst leben!

Die Künstler jener Zeit verfolgten mit der Passionskunst – der Wiedergabe des Gekreuzigten – den Zweck, durch Darstellung des Leides und Opfertodes Jesu Christi anhand der Erlösungstragödie des Beschauers Mitleid zu erregen, um so, die Seele läuternd, in ihre Tiefen einzudringen.

Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen, mit dem Kreuz im Tod sind wir im Leben.

Die Emporenmalereien in der Kirche

von Walter Heil

Dieser Beitrag erschien in der Festschrift 1200 Jahre Gronau der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ 1986.
Herr Walter Heil hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Die reformatorische Lehre rückte die Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes. In den oberhessischen Kirchengebäuden machte sich in jener Zeit mit der Zunahme der Christen immer mehr ein Raummangel bemerkbar. Um zusätzlichen Platz und Sitzgelegenheiten zu gewinnen, baute man allenthalben in den Kirchen hölzerne Emporen an. Das trifft auch bei dieser Kirche zu. An drei Seiten sind solche Emporen errichtet worden, nur die Südseite blieb frei, damit das volle Licht in den barocken Raum eindringen konnte.

Bis zu unserer Zeit bestand in der Kirche eine besondere Sitzordnung. Am Altarraum war der Platz für die Pfarrfamilie und ein Gitterstuhl für die gnädigen Herrschaften, die Pächter des Gronauer Hofes. Außerdem standen hier Stühle für den Orts- und Kirchenvorstand. Für die Vilbeler Lutheraner wurde ein Teil der Bänke im Schiff freigehalten.

Das Presbyterium (Versammlungsraum ohne Chor) war für die Frauen, Mädchen und Schulkinder weiblichen Geschlechts bestimmt (so die Pfarrchronik), während die Knaben auf der Orgelbühne (sie war bis zum Jahr 1968 mit einem separaten Aufgang versehen und noch von der nördlichen Empore getrennt) unter dem gestrengen Blick des Lehrers, der die Orgel spielte, beaufsichtigt waren.
Die Männer und Burschen hatten auf den beiden anderen Emporen ihre Plätze.

Da das Luthertum, etwa im Gegensatz zum Calvinismus, nicht bilderfeindlich war, wurden die Flächen an den Emporen in diesen Kirchen gerne bemalt. Die Ausgestaltung der Brüstungsfelder bot sich geradezu dafür an. In den kleinen Dorfkirchen waren volkstümliche Motive figürlicher oder ornamentaler Art willkommen.

Foto Orgel auf der Empore
Wunderschön bemalte Empore mit Orgel und Kruzifixus Foto: Münchberg

Ein besonders schönes Beispiel für eine reiche Ausmalung der barocken Emporen bietet hier die Gronauer Kirche. In 38 Kassetten werden die Propheten desAltenTestamentes, die 12 Apostel des NeuenTestamentes und Szenen aus dem Leben Christi dargestellt. Es gibt wenige Kirchen, evangelisch oder katholisch, die diese reiche Folge figürlicher szenischer Barockmalereien aufweisen. Die meisten protestantischen Kirchengemeinden unserer Heimat wurden reformiert, und aller Schmuck fiel dem „Bildersturm“ zum Opfer. Die evangelische Kirchengemeinde, so die Pfarrchronik, ist stolz darauf, den lutherischen Charakter treu bis heute erhalten zu haben.

Auf den ersten Blick schon findet man mit den in frischen, bunten Farben hingesetzten Male-reien den inneren Kontakt. Man glaubt ihnen, sie sind echt und ehrlich. DieWirkung verdanken sie aber keineswegs der besonderen Raffinesse und Kunstfertigkeit des Malers. Wir haben es nicht mit dem Werk eines bedeutenden Meisters zu tun, das seinen Platz unter den beachtenswerten Leistungen der Barockmalereien dieser Zeit hätte. Woher kommt dann aberdie Unmittelbarkeit der Wirkung und die überzeugende Glaubwürdigkeit? Sind es nicht die besonderen Kunstmittel, die dazu führen, so kann es nur das starke und ehrliche Erlebnis sein, das den Maler bei der Arbeit beseelt hat. Die Zeit ist reich an Darstellungen dieser biblischenThemen, die mit mehr technischem Können gemalt sind, die aber trotzdem nicht die gleiche Überzeugungskraft ausströmen wie diese Emporenmalereien. Hier hat ein unbekannter Barockmaler aus offenem und frommem Herzen Szenen aus der biblischen Geschichte geschaffen, an die er auch wirklich geglaubt hat.

Wie die Schriftpropheten des A.T. nach dem Umfang und der Bedeutung ihrer Weissagungen eingeteilt sind, so hat unser Maler sie in folgender Reihenfolge dargestellt: Nach Moses, der die beiden Gesetzestafeln mit den zehn Geboten in Händen hält, folgt Aaron, der ältere Bruder Moses und erste jüdische Hohepriester und Stammesvater.
Wir erinnern uns, daß er vor den ägyptischen König Pharao trat und die sieben Plagen ankündigte, um zu erreichen, daß die Israeliten in ihr gelobtes Land Palästina ziehen konnten (Altes Testament, 2. Buch Mose).

Zeichnung eines Mannes in orientalischer Kleidung
Moses Bruder Aaron

In der Bildkassette der Empore ist Aaron in der festlichen Kleidung des Hohepriesters dargestellt. In seiner rechten Hand hält er einen Ölzweig, in seiner linken das Weihrauchfaß.

Nach diesen beiden bedeutendsten Glaubenszeugen und Führern der Israeliten folgen die vier großen Propheten: Jesaia, Jeremia, Daniel und Ezechiel (hebräisch Heschid). Daran schließen sich an der Rückseite und an der nördlichen Empore die 12 kleinen Propheten an:

Osee (hebräischer Name für Hosea), Joel, Amos, Abdias (hebr. Obadia), Jonas, Michäas (hebr. Micha), Nahum, Habakuk, Sophanias (hebr. Zephanja), Aggäus (hebr. Haggai), Zacharias (hebr. Sacharja) und der zwölfte – Malachias (hebr. Maleachi).

Diese alttestamentarischen Propheten, von Gott in außergewöhnlicherweise berufenen und übernatürlich erleuchteten Männer hatten die Aufgabe, den Gottesglauben und die Reinheit der Sitten unter ihren Zeitgenossen wiederherzustellen. Ihre Predigten und Vorauskündigungen sprechen stets von Strafgerichten, dann auch wieder von Segen. Hauptziel war letztlich, die Hoffnung auf den kommenden Messias durch immer bestimmtere Prophezeihungen wachzuhalten. Etwa vom 9. bis zum 5. Jahrh. vor Christi begannen diese Propheten ihre Weissagungen schriftlich niederzulegen.
Sie waren so die „Dolmetscher“, die Sprecher Gottes.

Daran müssen sich natürlich die Bilder des Neuen Testaments mit dem „Heil der Welt“, dem Messias, anschließen. Nach Johannes dem Täufer folgt Jesus Christus.

Zeichnung von Jesus Christus
Jesus Christus

Die kraftvolle Gestalt des Heilandes hat sich erhoben. In seiner Rechten hält er fest die Erdenkugel, die vom Kreuz gezeichnet und überragt wird. Seine Linke hebt er zum Gruß, als wolle er sagen: Ich bin euer Mittler zwischen Himmel und Erde, ich bin euer Gott!

Im weiteren Bilderzyklus folgt der Evangelist Markus, der Überbringer der Frohen Botschaft.

Zeichnung von Markus
Der Evangelist Markus

Als Begleiter von Petrus und Paulus schrieb er deren Reden und Predigten nieder und wird seit dem 5. Jahrhundert in der Kunst mit seinem Attribut, dem Löwen, symbolisch gekennzeichnet. Sitzend, umgeben von Büchern und Rollen, schreibt er seine Evangelien. Aussagekräftig ist seine Gestalt. Das Schwungvolle seines Gewandes unterstreicht noch seine Stärke. Vervollkommnet wird alles noch durch die dienende Geste des Löwen.

Die anschließenden Darstellungen zeigen den Evangelisten Lukas (mit dem Sinnbild Stier), dann die Bilder von Christi Begräbnis, Christi Auferstehung und Christi Himmelfahrt. Diese reizvollen Bildtafeln, in den Originalfarben erhalten, besitzen einen hohen lehrhaften Charakter. Sie sind von dem Maler sehr reichlich ausgestattet und in die passende Beziehung zu den christlichen Wahrheiten gesetzt.

Die Altarseite präsentiert die Apostel, die „Gesandten“, jene Zwölf, die Christus aus seinen Jüngern zur Fortsetzung seineswerkes erwählte: Petrus (mit der Schlüsselgewalt), Jakobus der Ältere, Johannes, Andreas, Philippus, Thomas, Bartholomäus, Matthäus, Jakobus der Jüngere, Simon (der Eiferer), Judas Thaddäus und Matthias (Ersatz für den Verräter Judas Iskariot nach Christi Himmelfahrt) und als letzter kommt Paulus (er wurde erst später zum Völkerapostel berufen).

Könnte es eine bessere praktische Anschauung über das Heilsgeschehen geben? Diese Bilderzyklen des Alten und Neuen Testamentes können das Kirchengebäude als Symbol des Leibes Christi darstellen und die Kirche als göttliche Heilsanstalt versinnbildlichen.

Sicher werden diese Bilder seit über 250 Jahren die lebendige Bibel zum Religionsunterricht, zur Christenlehre und zur Predigt für die Jugend wie für die Erwachsenen von Gronau gewesen sein.

An dieser Stelle möge auch ein Wort zur Heiligenverehrung gesagt sein. Die reformatorische Theologie und Praxis lehnt jede Art von Heiligenverehrung als unbiblisch ab. Die in der Geschichte oft mißverstandene Verehrung mittels eines Heiligenbildes ist theologisch so zu verstehen, daß die Verehrung dem im Bild Dargestellten, nicht aber dem Bild selbst gilt. So hat also die Darstellung der Heiligen, ihrer Symbolik, bis zur Gegenwart ihre Berechtigung.

Nachtrag zum Text von Walter Heil
Die Identität des Malers scheint inzwischen geklärt

Wie einer inzwischen angelegten Internetquelle zu entnehmen ist, wurden die Emporenmalereien offenbar um das Jahr 1720 von dem gebürtigen „Tyroler“ Maler Konrad Jäger angelegt.
(vergleiche hierzu: https://www.geocities.ws/konradjaeger/maler.html)

Dem Text ist folgendes Zitat entnommen: „Etwa zur gleichen Zeit entstanden in der Kirche von Bad Vilbel-Gronau 38 Bilder von Konrad Jäger, die sich durch Kirchenrechnungen im Staatsarchiv Marburg (9.11.1720 über 36 und 7.9.1721 über 4 Gulden.) nachweisen lassen.“

Weiter heißt es:

„Die Bilder aus Gronau
Die Bilder sollten den Kirchenbesuchern Informationen über die biblischen Gestalten vermitteln. Dazu dienten oft Hinweise auf ihr Martyrium oder Heilstaten. Dass sich Pfarrer und Maler Gedanken gemacht haben, zeigt die Darstellung von Jesaja in Sulzbach mit der Säge als Marterinstrument und der glühenden Kohle in Bad Soden nach der Berufungsgeschichte in Jes.6,6. Zu den Gronauer Bildern seien im Folgenden einige Hinweise nach dem Konstanzer Kleinen Bibellexikon gegeben. Zu der historischen Betrachtung des Alten Testaments sei auf das Buch I. Finkelstein und N. Silberman „Keine Posaune vor Jericho“ verwiesen. Zumal bei der Lektüre dieses Buche bewusst wird, wie bedauerlich es ist, dass wir so wenig über das „theologische Anliegen“ der Bilder wissen, sowohl bei den Propheten als auch den Aposteln. Offenbar wollte man in der Kirche einfach von den Glaubenszeugen umgeben sein.“

Konfirmandenunterricht in Gronau – „Gemeinsam sind wir stark“

Nachstehend veröffentlichen wir zwei Leserzuschriften an die Nidderzeitung aus dem Jahr 1972. Diese hat uns Barbara Broscheit zur Verfügung gestellt.

Offenbar gab es damals eine öffentliche Diskussion über den Stil und die Methoden des Konfirmandenunterrichtes, wobei anscheinend ein negativer Artikel über „alte, verbabbte Pfarrer“ den Anstoß zu den Leserbriefen gab. Offensichtlich waren Pfarrer im allgemeinen gemeint, die als unmordern, d.h. nicht jung und dynamisch galten und deren Konfirmandenunterricht, Predigten und Amtsführung als nicht mehr zeitgemäß hingestellt wurden.

Barbara Broscheit schreib dazu: „Da fühlte sich mein Vater auch betroffen, der für seine sozial- und geschichtskritischen „donnernden“, aber zuletzt versöhnenden Predigten (Gott ist gnädig) bekannt war und schrieb, wie von der Redaktion gewünscht, seine (ironische) Meinung.“

Horst Broscheit, 15.1.1972

An die Nidderzeitung
Zu „Konfirmandenunterricht – modern oder „verbabbt“? – wünschen Sie Meinungen auch von Pfarrern zu veröffentlichen.

Für die auf Wunsch ihrer Eltern und Paten von mir in Gronau getauften und, wie ich lese, nachdenkenden Konfirmanden, erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass man auch in anderer als schwarzer Kleidung scheinheilig und im Talar eitel sein kann.

Zu Methode und Inhalt des neuartigen Konfirmandenunterrrichts ein Wort von KarlKraus: „Und muss man schon unter dem, was es gibt, leben, so lasse sich keiner einfallen, das einzige zu verunehren, das man besitzt, was es nicht mehr gibt.“
Ich habe u.a. gerade mit den Kenntnissen meines ausgezeichneten Konfirmandenunterrichtes viel später beide theologischen Examen bestanden. So sinnlos konnte er also nicht gewesen sein, und ich wußte auch vor meinem Studium etwas vom sog. „Leben“, denn ich war gelernter Hafenspediteur.
Der Versuch, einen Menschen jung oder alt zu einer Überzeugung zu zwingen, ist nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern verwerflich. Für solche Idioten soll man uns alte Pfarrer nicht halten, als hätten wir derartiges Zeug in unserer Amtsführung angestellt. Wir haben im Blick auf den Herrn der Kirche Jung und Alt gelehrt: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich selbst ….“ –
Und wir haben Junge und Alte in den Gemeinden gebeten: „so bitten wir nun an Christi statt: Laßt Euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor. 5. 19 + 20) Das Merkwürdigste an der ganzen Angelegenheit scheint mir zu sein, dass man von Erfahrungen mit Dingen berichtet, die man gar nicht kennengelernt haben kann. So geschehen im ehemaligen Ostpreußen und hier in Kilianstädten, Niederdorfelden und Gronau. Vielleicht findet sich die Stimme eines meiner Konfirmanden, um dem Blödsinn in der Nidderzeitung entgegenzutreten.

gez.
Horst Broscheit
Pfarrer i.R.

Nachstehend ein Leserbrief von Margrit Glaser an die Nidder-Zeitung (20.1.1972)

Sehr geehrte Herren!

In Ihrer Ausgabe vom 6.1.1972 baten Sie zu dem Thema „Konfirmandenunterricht –modern oder „verbabbt?“ um Meinungen von Konfirmanden und Eltern. Hier nun haben Sie eine solche:

„Bildnis eines alten Pfarrers“ von M. Glaser, geb. Diehl
Es amtierte einmal ein Pfarrer in Gronau 23 Jahre lang und in Niederdorfelden 17 Jahre lang als Vorgänger der Herren Pfarrer Aulepp und Geigenmüller. Er hieß Horst Broscheit, hatte 5 fromme Kinder, eine Frau und verstand nichts vom Leben.

Er war so scheinheilig, dass er seine beängstigende Amtsmiene – sein zweites Gesicht – nie zeigte, sondern bei einem Gang durchs Dorf mit Zigarrenqualm verhüllte. Hielt er einen Schwatz mit jedem, der es wünschte oder machte er Witze, so geschah dies nur aus Schauspielerei. Um aller Tradition zu spotten, trug er keinen grauen Pullover sondern eine alte, braune Wildlederjacke nebst braunen Sandalen, im Winter ging er wie ein Russe – langer Pelzmantel, Pelzmütze und Stiefel bis ans Knie. Politisch war das allerdings nicht gemeint.

Sein Konfirmandenunterricht war autoritär, dogmatisch und traditionell: wir konnten nämlich nicht machen was wir wollten, sangen keine Negerlieder und durften auch kein Schlagzeug rühren oder auseinandernehmen. Unser Knutschen bezeichnete er als eine Sache, die ihn nichts anging. Allerdings lernten wir nie stur auswendig, denn weder waren wir noch er stur. Was wir wirklich wissen mußten, um uns nicht zu blamieren war das 11. Gebot: Laß Dich nicht erwischen.

Gebetet hat er auch nicht mit uns, aber daß für ihn das Beten nichts „Heiliges, kein Raum der Stille des Menschen“ war konnte ich erfahren, als ich ihn dabei öffentlich während Amtshandlungen erwischte.

Wie verbabbt der alte Pfarrer war, zeigt sich deutlich darin, dass er uns in der Lehre Jesu – deretwegen wir Konfirmanden waren, anhand von religiösen Gemälden drillte. Unterschwellig wollte er uns bestimmt damit zwingen, überzeugte Christen zu werden. Impulse hat er uns jedenfalls damit gegeben: ich habe nicht nur die Leidens- bzw. Versöhnungsgeschichte Jesu, sondern eine Menge Maler kennengelernt.

Bastelarbeiten konnten wir im Konfirmandenunterricht nie machen und die Spiele, d.h. Theaterspiele und öffentlichen Vorführungen unter der Regie seiner Frau leiteten vielleicht keine Lernvorgänge ein, erbrachten aber Geld, um die dringendsten Reparaturen in der alten Gronauer Kirche ausführen zu lassen.

Welch ein Unterdrücker der alte Pfarrer war, kann man daran sehen, dass er den öfter fehlenden Konfirmanden, den ganz Lustlosen (für die er Verständnis zu haben vorgab), das Datum der sogenannten Prüfung oder Vorstellung (bei der in der ganzen Kirche Dank des amtsstrengen Pfarrers mehr gelacht wurde als gezittert) bekanntgab, damit sie aus freiem Willen den Anstand wahren konnten.

Dieser Pfarrer war sogar derart berbabbbt, dass er sich mit niemanden verkracht hat, ja sogar mit den Ältesten ist er immer bestens ausgekommen. Nur so zum Schein zeigte er der Gemeinde sein Interesse für ihre Anliegen und Nöte, indem er sich unter sie begab – auf der Straße, auf dem Feld, in den Ställen, am Kranken- oder Sterbebett, in der Kirche, bei den Festen, manchmal im Kolleg beim Wirt.

Er wurde alt mit den Gronauern, blieb bis zur entgültigen Pensionierung bei ihnen und verstand nichts vom Leben. Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er heute noch.

Margrit Glaser (seine ehem. Konfirmandin)