Der Gronauer „Adebarlikan“
oder auch „Klapperschwalikan“ , „Schwastorlikan“ oder „Schwadebarlikan“
Etwas, was mir seit meiner frühesten Kindheit in bleibender Erinnerung ist, ist die Verzierung des Schalldeckels über der Kanzel der Gronauer Kirche.
Für alle Gronauer ist klar, uns wurde das auch so überliefert, das ist das urchristliche Symbol für Nächstenliebe. Ein Pelikan füttert mit dem Blut, das aus seiner aufgerissenen Brust rinnt, seine Brut, um diese vor dem Verhungern oder Verdursten zu bewahren, metaphorisch auch für den Opfertod Christi. (Genaueres siehe weiter unten im Text von Walter Heil).
Eine wahrhaft ergreifende Geschichte, sehr anschaulich und das kindliche Gemüt aufwühlend.
Ich war sehr beeindruckt und habe diese Symbolik nie vergessen.
Bei meinem letzten Besuch in der Gronauer Kirche, im September 2011, anlässlich der Jubiläumsfeier „1225 Jahre Gronau“, habe ich noch einmal Muße gehabt, mir diese beeindruckende Figurengruppe in aller Ruhe anzuschauen. Ich saß weit hinten im Kirchenschiff, brauchte deswegen den Hals nicht allzusehr zu verdrehen und hatte den Schalldeckel gut im Blick.
Was mir dabei auffiel, ist eine ornithologische Sensation, handelt es sich doch bei den dargestellten Gefiederten augenscheinlich gar nicht um Pelikane, wie bisher immer angenommen.
Der nicht namentlich bekannte Künstler, der dieses Werk vor vielen, vielen Jahren für die Gronauer Kirche anfertigte, hatte vielleicht nie wirklich einen Pelikan gesehen, vermutlich hat er einfach angenommen, der nächste größere Vogel, der ihm vor Augen kam, würde wohl so ähnlich aussehen.
Er hat also in etwa auf die Anatomie eines Adebars zurückgegriffen. Dieser in Gronau sehr vertraute, jährlich wiederkehrende Besuch aus Afrika wird ihn wohl inspiriert haben zu seinem „Nestbau“.
Unwillkürlich hat er mit seiner Symbolik trotzdem für Gronau genau ins Schwarze getroffen. Wenn es ein Gronauer Wappentier gäbe, dann müsste es der Storch sein. Seit Jahrhunderten kehrt er nach Gronau zurück. Seine Jungen schlüpfen hier aus dem Ei und werden mit Gronauer Nahrung, zwar weder mit Blut, auch nicht mit Blutwurst oder Presskopp, auch nicht Gelbwurst, aber mit Fröschen und Mäusen gefüttert. Er kommt viel in der Welt herum, kehrt aber immer wieder gerne in seine Gronauer Heimat zurück. Er ist seinem Standort und seiner Partnerin Treu bis zum Tode.
Ein echter Gronauer eben unser Gronauer Adebarlikan!
Nachtrag: Der barocke Schalldeckel war im Laufe der Jahrhunderte vom Holzwurm zerfressen. In den 60er Jahren lehnte die Landskirche einen Antrag auf Geldmittel für die Restaurierung ab.Der 1967 von von Ostpreußen nach Gronau eingewanderten Schreiner- Meister Kummetat geschnitzte Figur und die von Schreinermeister Gerhard Wenzel neu gefertigte Schalldecke der Kanzel ist ein Geschenk der großzügigen Spenderin Frau Liselotte Gahre, Dottenfelderhof, Tochter von Frau Albert.
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Mein Onkel Rainer Hoch machte mir noch eine andere mögliche Sichtweise deutlich, ich zitiere:
„Aufgrund meines recht fundamentalistischen Biologiewissens schwante mir, daß dies gefiederte Tier mit langem Hals eigentlich nur ein S C H W A N mit 3 Schwänchen sein könnte. Ich weiss natürlich nicht genau, wie diese Vögel von den Barockkünstlern gesehen wurden. Die „Story“ lässt auf einen Pelikan schließen, das Nest in Verbindung mit Gronau auf einen Adebar-Klapperstorch, das Aussehen wiederum auf einen Schwan. Könnte der Meister bei seiner Kreation nicht einen Klapperschwalikan, einen Schwastorlikan oder einen Schwadebarlikan dargestellt haben? Auch die, zu unserer Zeit sehr aggresiven, Gänse sahen ungefähr so aus, oder?“
DAS Gronauer Wappentier Foto: Chr. Heinrich 2008
Die Kanzel (Auszugsweise)
Dieser Beitrag erschien in der Festschrift 1200 Jahre Gronau der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ 1986.
Herr Walter Heil hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Zum Schluß wollen wir uns der letzten künstlerischen Aussage unserer Kirche, der Kanzel mit ihrem besonderen Schalldeckel, zuwenden. Hier begegnet uns eine Symbolik, ein heiliges Zeichen, das durch das Zusammentreffen einer natürlichen Erscheinung mit der Spähre des Göttlichen entsteht. Damit erhält ein an sich profaner Gegenstand – das Pelikanmotiv – einen religiösen Sinn und vermittelt so dem Menschen die Gegenwart des Heiligen. Neben dem Fisch gehört das Pelikanmotiv zu den ältesten christlichen Zeichen. Bereits im 3. Jahrhundert erscheinen solche Darstellungen auf altchristlichen Lampen. Man schreibt dem Pelikan die Fähigkeit zu, seine Jungen mit dem Blute seiner aufgerissenen Brust zu nähren. Von Augustus wie auch von anderen Kirchenschriftstellern wird besonders dieses Vogelmotiv als Symbol des leidenden Christus, seines Opfertodes, gedeutet und somit auf die heilige Eucharistie bezogen.