oder, wie wir eingegronauert wurden
Krieg ist und war immer etwas Schlimmes.
Wäre aber der 2. Weltkrieg nicht gewesen, so wären wahrscheinlich viele Familien nie in Gronau gesichtet worden.
Die Namen wie Appel, Broscheit, Czaplinskyi, Fischer, Gutmann, Hanke, Hoch, Keidl, Michalowski, Ruhnau, Schibilski, Umlauf und viele mehr wären hier wahrscheinlich nicht bekannt.
Die „Schuld“, daß WIR Gronauer wurden, trägt alleine meine Schwester Margot, die damals den Kindergarten in der Gronauer Kirchgasse leitete.
Meine Eltern betrieben in Hanau, in der Fischerstraße – heute Nähe Hauptpost – eine Glaserei.
Mein Vater war Glasermeister und während seines Kriegsdienstes führte meine Mutter das Geschäft mit Gesellen und Lehrlingen mehr schlecht als recht weiter.
Einige Wochen, bevor Hanau dem Erdboden gleichgemacht wurde (19. März 1945) hatte besagte Schwester die Eingebung, die gesamte Familie nach Gronau zu holen.
Vater war noch im Krieg, aber meine 70 jährige Oma, meine Mutter, meine zweite Schwester und ich, im Kinderwagen, gerade ½ Jahr alt, wurden von ihr über den Hühnerberg zu Fuß nach Gronau „getrieben“.
Das alles fand im Winter, bei eisiger Kälte statt.
Aus verständlichen Gründen fehlt mir ein Großteil dieser Reiseeindrücke.
Einige Wochen später erhielt unser Haus in Hanau einen Bomben – Volltreffer, im Haus hat keiner der Zurückgebliebenen überlebt.
Die polizeiliche Anmeldung (siehe weiter unten) in Gronau ist auf den 8. Januar 1945 datiert.
Wie sich die Situation damals für uns darstellte und wie wir, scheinbar ganz selbstverständlich, zu Gronauern wurden, hat meine Mutter in einigen Zeilen beschrieben:
Nächstenliewe
Heut, vor 33 Jahr,
als der Krieg noch net zu Ende wor,
als der Tommy un Ami, Ihr werd’s noch wisse,
halb Hanau hat zusammegeschmisse,
do traf’s auch uns, mir mußte fort.
Es verschlug uns in en klaane Ort,
der uns zur Heimat geworde is,
un, der damals noch Gronau hieß.
Mir stande do, mit Angst, o Graus,
un wußte net wo ei noch aus.
Da kam, wie vom liewe Gott geschickt,
die Oma Müller, un als die uns erblickt,
machte se gor net viel drum rum
un mit ihrer Tochter, der Anna Blum,
ohne viel Redde un ohne viel Frage
wurde mir all, samt Kinnerwage,
in ihr klaa Häusi uffgenome.
So warn mir fürs erste unnerkomme,
sie teilte mit uns, trotz eigener Not,
Tisch, Bett un aach des letzte Stück Brot.
Un dass des net ganz trocke sollt sei,
gab’s aach noch e Schüssel Latwerg mit dabei
un all die kommende schlechte Tage
hawwe gemeinsam mir dann ertrage.
Mir hawwe gelacht un hawwe geflennt,
uns gut vertrage, aach manchmal geschennt
un warn uns doch so von Herze gut,
weil kaaner dem annern gehenkt hot die Schnut.
So is e Freundschaft, die heut groß werd geschriwwe,
fest un heilig bis heut gebliwwe.
Un all die Gronauer, des muß ich noch sage,
hawwe viel zu unserm Glück beigetrage,
un hawwe mit stets offener Hand
Hunger un Not von uns verbannt.
Drum liewer Gott, hör heut mei Bitt´
un nemm die Gronauer, (wanns an der Zeit is)
in Dein Himmel mit
un machen dort owe e schee Plätzi frei!
Doch ganz dicht newe Dir, in der vorderste Reih
do laß die Blume – Familie sei!
Denn, liewer Gott, daß Du’s nur weißt,
die wußte was Nächstenliewe heißt!
Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen!
Die Familie Hoch ist in Gronau eingetroffen. Meldebogen vom 8. Januar 1945
Das Haus der „Gronauer Engel“, der Familie Blum in dem wir damals aufgenommen wurden.
Damals sah das Anwesen aber noch deutlich anders aus.