Die „Gute Alte Zeit“
Es geht zu wie in Sodom und Gronau!
Wir beschreiben „unser“ Gronau gerne als einen schönen lebens- und liebenswerten Ort, so wie wir ihn erlebt haben, aber so schön war es wohl doch nicht zu allen Zeiten.
Die oft beschworene „Gute alte Zeit“ war nicht immer für alle Menschen gut, das geht jedenfalls aus einem erschreckenden Bericht eines überaus glaubwürdigen Gronauer Zeitzeugen etwa aus der Zeit von 1835 bis 1840 hervor.
In einem Bericht an seine vorgesetzte Dienststelle schreibt er: „dass wie zu vielen Orten so auch hier in Gronau ein böser Geist in erschreckender Weise hervorgetreten ist“
Er berichtet, sowohl eigene Erfahrungen, als auch Aufzeichnungen seines Vorgängers hätten ihm ein ziemlich gutes, aber freilich auch erschreckendes, Bild von den Zuständen und Verhältnissen in Gronau verschafft.
Er vermutet, die Gründe dafür in „fürchterlichen Eigennutz und Trug, Neid, Lüge, Missgunst, Zank und Prunksucht in fast durchgehender Nichtachtung der meisten Gebote. Es fehle an Liebe gegen Gott und den Nächsten.“
Weiter schreibt der Chronist: „Nicht erst seit kurzem ist das der Fall, schon vor mehr als 100 Jahren finden sich fast dieselben Klagen in schriftlichen Aufzeichnungen aus Gronau, was wohl meist darin seinen Grund haben mag, daß die Gronauer fast nur unter sich heiraten.“
Fremde die einheiraten wollen, werden dahingehend sehr angefeindet, weil sie kaum Äcker und Wiesen mitbringen.
Die Gronauer bleiben also weitestgehend unter sich, darum, so schreibt der Berichterstatter, erben sich die Gemeinde Übel wie eine ewige Krankheit fort.
Mit der Bildung hapert es noch im Jahre 1835, so können nur wenige Männer mehr als ihren Namen schreiben. Bei den meisten Frauen ist davon fast gar keine Rede. Mit dem Lesen geht es nicht viel besser bei Vielen.
Es gab damals wohl häufig Unfrieden in den Familien, rohe Gewalt gegen die Frauen und Misshandlungen der Kinder waren damals ein weit verbreitetes Übel.
Die haarsträubenden Zustände beschreibt der Berichterstatter wie folgt: „Eine brave Mutter die mit dem 7. Kind schwanger war, starb beinahe in Folge des Betragens der beiden ältesten Söhne, die ihre Mutter kurz nach der Niederkunft umgebracht haben würden, wenn sie nicht von dem Großvater daran wären gehindert worden.“
Längere Zeit nachher starb die Großmutter der Misshandelten, die von ihm (dem Großvater), wie von ihrem Vater aufs Grauenvollste missbraucht worden war.
Der Chronist schreibt: “Sie hatte öfters blutend, mit zerrissenen Kleidern u.v.m. Klage bei mir geführt, einmal kam sie sogar und sagte, der Zweite habe sie bis oben in den Mist-Pfuhl geworfen mit dem Fluch: “Willst Du denn gar nicht verrecken, du Aas?“
Aber auch die Gewalttätigkeit beschränkte sich wohl nicht nur auf die eigene Familie, auch die Dorfgemeinschaft war dadurch sehr beeinträchtigt.
So wird etwa aus dem Jahr 1838 berichtet, es gäbe „Leute vor denen sich der ganze Ort fürchtet“.
Der Chronist schreibt: “Im letzten Winter war die sogenannte Pacht -Zeit abgelaufen; sie wollten das Land weiter haben der Sohn soll Drohungen ausgestoßen haben gegen alle die auf seine Äcker bieten würden. Die Mutter gab, als sie aufs Neue überboten werden sollte, eine ganz hübsche Maß Androhungen zum Besten, und sokam es daß niemand bot. Als nachher die Äcker befasst werden sollten, fehlte aber der bedrohlich wirkende Bauer. Vom Ausgang der Sache wird berichtet: „weil dieselben der Bürgermeister nicht anschaffen wollte wie im verflossenen Jahr; so wäre er fast von dem missratenen Sohn ermordet worden.“
Der Chronist fragt sich, was ist von der Jugend zu halten, wenn sie in solchen Familien – Zwistigkeiten aufwächst. Er berichtet von einem anderen Fall, der Schwager des oben erwähnten Mannes, misshandelte seine Frau entsetzlich – sie flüchtete mehr als einmal in sein Haus. Wörtlich schreibt er: … und verschwendet mit seiner Frau, die gar nicht taugt, so zügellos dass ich auf Vormunde antragen musste. Der Zank ist deshalb unrecht geworden, weil die Frau nicht mit unter Vormundschaft kam; Sie hat mit ihrem ältesten misslungenen Sohn in sechs Jahren über 6000 Mark Schulden gemacht, obgleich sie gegen 32 Morgen Land zu beizusteuern hatte.
Auch mit der Steuermoral der Gronauer scheint es nicht so weit her gewesen zu sein. So schreibt der Berichterstatter, der einzutreibende Zehnte habe „zu 1000 Betrügereien“ Anlass gegeben.
Eine Auflistung der zu entrichtenden Steuern zeigt, daß die Belastung der Bauern ganz erheblich war. So waren zu entrichten Blut-Zehnter vom Schwein, sowie Steuern auf Hasen, Gänse, Enten und Hühner, auf Grün – Gras und der Flachs-Zehnter.
Neben der Steuerlast bestand zu dieser Zeit noch die Verpflichtung zur Leistung von Hand- und Spanndiensten, so ist belegt daß im Jahr 1868 je 18 Personen sind zu je 2 Tagen Hand- und Spanndiensten verpflichtet waren, dazu 44 Personen Spanndienste mit einem Fuhrwerk an 7 bis 16 Tagen jährlich.
Für das Jahr 1889 waren festgelegt: 63 Personen sind zu Handdiensten an je 10 Tagen verpflichtet, dazu 54 Personen zu Spanndiensten an je 12 Tagen.
Diese Verpflichtungen wurden erst im Jahre 1898 aufgehoben.
Auch Jahre später, etwa zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, scheint es mit der „Sittlichkeit“ in Gronau nicht weit her gewesen zu sein. Ein schriftlicher Bericht aus Gronau vom Jahr 1916 vermerkt zum Beispiel „Gewiss gibt es hier, wie überall, wo Menschen leben, neben dem Licht auch Schatten. Dahin gehört die auffallend geringe Kinderzahl in mancher Familie mit ihren dunklen Ursachen und die verhältnismäßig große Zahl an „unehelichen“ Vereinigungen. Das gibt es hier besonders unter denen, die die für diese Unsitte in Betracht kommenden Jahre überwunden haben Viele fürchten keine Strafen………“, was darauf hindeutet, daß durchaus auch damals schon Verhütung, bzw. Abtreibungen durchaus verbreitet waren.
Auch nach Ende des Krieges ging es mit der „Unsittlichkeit“ in unserem Dörflein munter weiter, wie ein Bericht vom Ende des Jahres 1918 zeigt. In Gronau waren Soldaten einquartiert worden. Zu einer Weihnachtsfeier luden die Soldaten die Bewohner des Dorfes am zweiten Festtagabend ein, wo in ernsten und heiteren Spielen einen Ball stattfand. Wörtlich heißt es in dem Bericht dazu: “Leider hat die Vergnügungssucht so ganz immense Formen angenommen. Fast jeder blieb bis tief in die Nacht hinein ja bis es zum anderen Morgen war Tanz, die Mädchen waren einfach toll und es nicht unrichtig das Urteil: „unerhört! Die Weiber sind alle Mannstoll“. Es ist tief bedauerlich, dass in den furchtbar ernsten Zeiten sich Angehörige eines Volkes, das so schrecklich niedergebrochen ist und so furchtbar dunklen Zeiten entgegengeht so benehmen können. Vernünftige Leute haben das auch gefühlt und die Einquartierung zum Teufel gewünscht. Wer hätte gedacht, daß das Jahr 1918 so schließen würde. Wohin sich das Auge wendet Durcheinander, unhaltbare Verhältnissen Man musste verzweifeln…“
Aber nicht nur in Gronau scheint es mit der Moral nicht so genau genommen worden zu sein.
So gibt es ein Schreiben von 1809, das darauf hinweist, daß auch in der Nachbarschaft, beispielsweise in Niederdorfelden die Unsittlichkeit durchaus verbreitet war. Wörtlich heißt es darin:
„Bey der hiesigen Amts – Visitation kommt es mir darauf an zu wissen,
was für Schwängerungs sollen u anticipierte Beyschläfee sich an dem
‚Amts Orte zugetragen haben, und wie und warum solche dem Amt noch
nicht bekannt gemacht wurden. Auf …liche daher so Geschehene
die wie die schon erwähnten Fälle, welche sich in der Pfarr Seelsorge
anvertrauten ev. luth. Gemeinde zu Niederdorfelden zugetragen haben
gefälligst zu erfahren und mir zu Ohr … Geschäftes …
zugehen zu lassen.