Wenn ich, bei meinen leider viel zu seltenen Besuchen in Gronau, oft nur auf der Durchreise, mal eben schnell in der Gaststätte „Alt Gronau“ reingucke, treffe ich oft auf einen Klassenkameraden. Man kann das dann schon getrost als „Klassentreffen“ bezeichnen, weil dann genau100 Prozent der männlichen Klassenmitglieder anwesend sind.
Ja, ich war noch einer der Buben, der eine sogenannte „Zwergschule“ besuchte.
Ich bin zu Ostern des Jahres 1952 in die Gronauer Volksschule eingeschult worden. Im Jahr vorher war zu dem vorhandenen einen Klassenzimmer noch ein Anbau mit einem zweiten Klassenzimmer dazugekommen.
Diesen Raum teilten sich die Klassen Eins bis Vier. Wir wurden alle gemeinsam und gleichzeitig von unserem sehr lieben Lehrer Kroh unterrichtet. Damals waren Kinder noch sehr folgsam erzogen, was allerdings nicht heißt, dass wir nicht auch mal schwer zu bändigen waren. Aber insgesamt waren wir wohl gut im Griff zu halten. Zwei der damals üblichen Schul –Bänke wurden Kopf an Kopf gestellt, ein Stühlchen kam dazu, schon war Platz für die ganze Klasse.
Der Neubau war mit großen Fenstern versehen, wir konnten also sehr gut den gesamten Bereich der heutigen Bismarkstraße, die damals noch ein unbefestigter Feldweg war, und darüber hinaus auch die Felder bis zum Bahngleis überblicken. Geheizt wurde mit einem großen eisernen Ofen in der Ecke, der von den großen Schülern mit Holz beschickt wurde, wenn Brennmaterial da war. Das war damals sehr knapp, in Gronau gab es ja auch kaum Wald, die Hohl war leergefegt, manchmal war dann das Klassenzimmer eben nicht geheizt.
Nun gut, ich war also in die erste Klasse gekommen. Zwei Buben, drei Mädchen bildeten den Klassenverband.
Wir waren ausgerüstet mit einer Schiefertafel und einem Griffel, einem Griffelkasten, einem nassen Lappen und einem Schwamm, mit denen die Tafel gereinigt wurde. Schwamm und Lappen, weil beide feucht, waren an Schnüren befestigt, so dass sie oben am Ranzen seitlich heraushängen konnten.
Eine Seite der Tafel war mit Linien bedruckt, gedacht für das Erlernen der Handschrift, die Rückseite mit „Rechen-Kästchen“ versehen.
Man legte damals noch sehr viel Wert auf eine ordentliche, saubere Schrift. Dem stand in meinem Falle die Tatsache entgegen, dass ich als Linkshänder auf die Welt kam.
Linkshänder waren damals als liederlich, unordentlich verschrien, weshalb sie zwangsweise auf Rechtshänder umgetrimmt wurden. „Wo ist das „schöne“ Händchen“ ? Rumms, gab es wieder einen mit dem Zeigestock auf die linke Hand. Manches Umlernen ist oft schmerzhaft.
Trotz allen ehrlichen Bemühens um eine schöne, ausgewogene Handschrift, gelang mir das nie mit der „schönen“ Hand. Später, als ich nichts mehr auf die Finger kriegte, ging es mit Links viel besser.
Das Schreiben auf der Schiefertafel war aber auch mit dem Umstand verbunden, dass man das soeben geschriebene, mit der fest aufgedrückten Hand dann oft gleich wieder verwischte. Später, als wir dann mit dem Federhalter schreiben lernten, mit flüssiger Tinte, war das mit dem Verwischen noch viel schlimmer, weil die Tinte ja eine Zeit lang feucht blieb.
Apropos „Tinte“, man führte diese ja nicht im Tornister mit, das wäre böse ausgegangen, Tinte war verfügbar in einem in die Schulbank mittig eingelassenen Tintenfass. Dieses musste von den älteren Schülern immer wieder aufgefüllt werden, weil wir unerklärlich viel Tinte verbrauchten. Gelegentlich geriet auch der Zopf der Mitschülerin (ja, Mädchen trugen damals vorzugsweise Zöpfe) versehentlich mit den Haarspitzen in die Öffnung des Tintenfasses.
Lehrer Kroh unterrichtete immer abwechselnd fünf Minuten die erste, dann die zweite Klasse usw. bis er durch war und nach der Vierten wieder bei der ersten Klasse weitermachte. Da wir immer mithörten, was er den jeweils höheren Klassen beibrachte, hatten wir eigentlich gegenüber den heute üblichen getrennten Klassen schon einen ziemlichen Wissensvorsprung. Man lernt ja schnell als Kind.
Im Nachhinein betrachtet, war die damals oft verächtlich bezeichnete „Zwergschule“ eine „Riesenschule“