„Guck mal, ich kann schon tauchen!“
Mit zwei, drei kräftigen Armzügen hatte ich das rettende Ufer erreicht, endlich wieder Boden unter den Füßen gespürt. So fühlt es sich also an, dem Ertrinken nahe zu sein, ich japste ein paarmal kräftig nach Luft und stürzte mich wieder tollkühn hinein in die tosenden Fluten.
Die „tosenden Fluten“ das war das sanft dahinfließende Wasser der Nidder, die im Volksmund einfach nur „die Bach“ hieß.
Es war ein herrlich warmer Sommertag und natürlich hatten wir Buben darauf bestanden, an „die Bach“ zu gehen. Unnötig zu erwähnen, daß meine sehr ängstliche Oma uns nur ungern ziehen ließ.
Ja, in den 50er Jahren konnte man in der Nidder noch baden!
Natürlich war das Wasser nicht so klar und sauber und türkisgrün wie in Vilbel im neuen Schwimmbad, die Nidder hatte auch keinen Sprungturm, schon gar keinen zehn Meter hohen, es gab auch keine gepflegten Liegewiesen und keine Umkleidekabinen.
Aber was nutzt das alles, wenn Vilbel unendlich weit weg ist, nur mit dem Zug zu erreichen. Wer hatte damals schon Eltern mit einem Auto? Natürlich hätten wir Kinder dort nie alleine hinfahren dürfen. Erschwerend kam noch hinzu, daß so ein Schwimmvergnügen im Vilbeler Bad natürlich Eintritt kostete. Das Geld dafür war einfach nicht vorhanden.
Gronauer Jugend in der Bach
Was lag also näher, als an die Bach zu gehen. An der Stelle, wo sich heute Schmiedestraße und Uferweg treffen , lag der allgemeine Gronauer Badeplatz, dort traf sich die Gronauer Jugend.
Selten kam mal ein Erwachsener vorbei.
Ein Stück gemähte Wiese mit einem flach abfallenden Uferbereich, um die herum wuchsen üppige Brennesseln, einige Weidenbüsche spendeten etwas Sichtschutz beim Umkleiden, allerdings, trotz übergeworfener Kolder, nicht ganz so vollständig, wie sich das manches Mädchen wohl erhofft hatte, so kam die männliche Gronauer Jugend schon mal, zu damals seltenen, erfreulichen Anblicken.
Dribbedebach war das Ufer dicht mit Brennesseln und Weiden-büschen bestanden, ein an Land gehen versuchten wir dort erst garnicht.
Natürlich hatte man früher nicht so funktionale Badebekleidung wie heute. Badeanzüge und Badehosen waren aus feiner Wolle gestrickt, vielleicht auch „Bleyle“, sie sogen sich bei Kontakt mit Wasser voll und wurden bleischwer. Nicht gerade förderlich um oben zu schwimmen!
Oftmals waren auch Turnhose, Unterhose und Badehose identisch, alles natürlich im Direktvertrieb bei Alois Zwicklbauer erworben.
Die Uferzone war mit einigen größeren Steinen gesäumt. Aus diesen Steinen konnte man prima kleine Abzweigungen und kleine Extrabecken bauen, in diese versuchten wir, Schwärme von winzigen Fischlein zu locken (Stichlinge) oder zu treiben, um diese dann mit der Hand zu fangen. Ich kann mich erinnern, daß dies auch in seltenen Fällen gelang. War das Fischlein gefangen, wurde es manchmal zum „Fliegenden Fisch“, es landete in hohen Bogen wieder in seinem Element, in anderen Fällen hatten wir ein „REX“ Einmachglas dabei, dort wurde das Fischlein in Bachwasser aufbewahrt und mit nach Hause genommen. Unter ständiger fürsorglicher Beobachtung überlebte es dort dann einige Tage.
Hansfried Münchberg und Rainer Hoch erlernen
das Schwimmen in der Nidder
Eine sehr nützliche Auftriebshilfe bauten wir uns selbst, Schwimmflügel oder Aufblastiere gab es damals bei uns nicht. Wir schnitten lange Schilfrohre in der Uferzone, bündelten diese, banden das Röhricht mit den langen, widerstandsfähigen Schilfblättern zu Bündeln. Man konnte sich hinaufschwingen, umklammerte das sogenannte „Krokodil“ mit den Beinen, mit einiger Übung gelang es, oben zu bleiben, dann konnte man mit ausladenden Armbewegungen größere Strecken zurücklegen. Beliebt waren diese Krokodile auch als Schlachtschiffe bei Wasserschlachten.
Der Bodenbereich bestand aus dem in Gronau weitverbreiteten lehmigen Gemisch, stand man in der feuchten Pampe, hatte man das Gefühl, man würde an den Füßen festgesaugt. Die glitschige Matsche drückte sich zwischen den Zehen durch nach oben. Natürlich wurde das Wasser sehr schnell sehr trübe, weil man die Patsche immer wieder aufwirbelte.
Kam mal ein Erwachsener zum Nachschauen, führten wir stolz unsere Fortschritte vor. Am besten konnten wir tauchen, da mußte man sich schließlich nicht so lange über Wasser halten.
Meine, wie schon erwähnt, sehr ängstliche Großmutter, warnte uns immer sehr eindringlich vor den sehr gefährlichen Schlingpflanzen. Diese hätten schon so manchen unbedachten Schwimmer für immer in die Tiefe gezogen.
Von heute aus gesehen, waren diese „sehr gefährlichen Schlingpflanzen“ einfach nur harmlose „Mummeln“. Diese sehr schönen, intensiv dunkelgelb blühenden Verwandten der Seerosen, auch „gelbe Teichrose“ genannt, haben sicher noch nie einem Menschen etwas zuleide getan.
Natürlich haben wir beim Tauchen auch viele ungewöhnliche Dinge aus der Nidder gefischt. Verrostete Eimer, Steine in allen Variationen, Tierknochen, Hufeisen, aber auch schon mal einige alte Orden und Ehrenzeichen aus unrühmlichen Tagen, die bei Eintreffen der Amerikaner in Gronau noch schnell ins trübe Wasser entsorgt worden waren.
Die Erwachsenen waren gar nicht froh darüber, als wir mit den funkelnden Erinnerungsstücken zu Hause auftauchten.
Die Bach ist doch gefährlich
Daß meine Oma mit ihren Ängsten gar nicht so unrecht hatte, habe ich erst kürzlich erfahren, so habe ich vor einigen Wochen folgendes gefunden:
Tragischer Badeunfall in Gronau vor 100 Jahren
Ertrunken in der Nidda
Am Sonntag, den 9. Juni 1918 ertrank beim Baden in der Nidda ein kriegsgefangener Franzose.
Der wurde am Mittwoch, den 12. Juni vormittags 9 Uhr auf dem Gronauer Friedhof feierlich beerdigt.
Die Inspektion in Frankfurt hatte zuerst angeordnet, dass er ohne kirchliche und militärische Ehren begraben werden sollte.
Der damalige Gronauer Pfarrer Karl Sopp intervenierte daraufhin beim Generalkommando.
Die Anordnung wurde daraufhin als Irrtum oder als Missverständnis ausgegeben, worauf der zuständige katholische Pfarrer aus Butterstadt die Beerdigung am 12. Juni vornahm.
Der Kriegerverein beteiligte sich vollzählig an der Beerdigung.