Wir, meine Eltern, meine ältere Schwester Anni und ich, wohnten damals bei dem Bauern Karl Wenzel, genannt Feldsliebsche Karlche, in der Kirchgasse 7.
Wir waren Heimatvertriebene und bei der Ankunft in Gronau hatte man uns im Nebengebäude eine Futterkammer als Wohnung zur Verfügung gestellt. Der Raum lag über der Waschküche und eine Holztreppe führte hinauf. In einem Verschlag neben der Treppe wurden Schweine gehalten und davor- vom Hof aus zugänglich- befand sich die Gemeinschaftstoilette, von der später noch zu berichten sein wird.
Mein Vater hatte schon bald nach unserer Ankunft in Gronau eine Arbeit bei der total zerbombten Dunlop in Hanau bekommen, wo nach dem Krieg jede Menge Schutt wegzuräumen war. Als ehemaliger Landwirt war er den Umgang mit der Schaufel gewohnt und er arbeitete dort auch noch, als das Werk wieder aufgebaut war und auf Hochtouren Reifen gefertigt wurden. Die Arbeiter wurden morgens mit einem großen gelben Lastwagen am Dalles abgeholt und abends wieder zurückgebracht.
Meine Mutter arbeitete bei unserem Hausherrn, half beim Füttern und bei der Feldarbeit und sicherte uns damit Kartoffeln, Milch und Eier. In Ermangelung eines Kindergartens in Gronau wurde ich in der Regel mit aufs Feld genommen.
Meine Schwester Anni, bereits 20 Jahre alt, war bei der Kriegerwitwe Lamb in der Schäfergasse (im Lambegässche) in Stellung. Das heißt, sie half im Feld, im Haushalt und bei der Betreuung der beiden Söhne Wilhelm und Karl während Frau Lamb zusammen mit Martin – einem ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen – die Landwirtschaft betrieb.
Doch nun zu der bereits erwähnten Toilette, oder wie es damals auch hieß, dem Abe. Es war über der Jauchgrube, dem sog. Pullloch gebaut und bestand aus einem gemauerten Viereck, mit einem Brett als Toilettensitz. In der Mitte dieses Brettes befand sich ein Loch, durch das man die stinkende Jauche wabern sah. Für mich, als damals 5 jähriger Junge, war das riesige Loch derart bedrohlich, dass ich diesen Ort nur in Begleitung eines Elternteiles und dann auch nur sehr widerwillig benutzte. Viel beliebter dagegen war er für Schwärme von Fliegen, die besonders im Sommer nur unter Androhung von Gewalt Platz machten, wenn man sich ihnen näherte. Als Toilettenpapier diente übrigens zugeschnittenes Zeitungspapier, das an einem Haken an der Wand hing.
Es begab sich, dass es bei Lambs Pannekuche gab, eine meiner Leibspeisen. Ich lud mich zum Essen ein und vergaß die Zeit. Als ich in die Kirchgasse kam um wie gewohnt meine Mutter aufs Feld zu begleiten, war der Wagen gerade ohne mich abgefahren.
Zurück beis Lambe musste ich feststellen, dass inzwischen auch hier alle- samt meiner Schwester- Richtung Acker ausgeflogen waren. Mutter und Schwester hatten angenommen, dass die jeweils Andere sich um mich kümmern würde.
Soweit so gut. Man wird sich doch noch bis zur Ankunft des Vaters, der vor allen anderen von der Arbeit kam, beschäftigen können. Da war der Stall, der Garten, der Hof, alles interessante Örtlichkeiten in denen sich ein 5- jähriger die Zeit vertreiben konnte.
Hätte sich da nicht dieses menschliche Rühren im Bauch und in den Därmen breit gemacht. Das Rühren wurde zur Qual und allmählich wusste ich nicht mehr, was ich machen sollte. Ich rannte zum Dalles, aber der gelbe Wagen wollte sich noch nicht einstellen. Ich rannte zurück, dachte an dieses riesige Loch, das ich ja jetzt eigentlich hätte benutzen sollen. Ich stand davor und schreckte wie immer zurück. Nein und nochmals nein, den Mut brachte ich nicht auf. Ich stellte mir vor, wie ich in diese Brühe fallen könnte und rannte in Panik davon.
Um die Sache abzukürzen, es ging in die Hose. Es muß ein Bild des Jammers gewesen sein, das die Nachbarin- Frau Blum – zu sehen bekam als ich ihr heulend und breitbeinig in Höhe der Kirche entgegen kam. Sie nahm mich mit nach Hause, entsorgte was zu entsorgen war und versorgte mich mit frischen Klamotten, die sicher von einem ihrer beiden Söhne Karl oder Willi stammten, als diese in meinem Alter waren.
Meine Psyche hatte durch diese Erfahrung keinen Schaden genommen. An den Abe und die Unannehmlichkeiten die damit verbunden waren, konnte ich mich aber nicht gewöhnen.