von Hansfried Münchberg

Ein kleiner Schubs, ein leichter Ruck und los ging die wilde Fahrt.
Wie die Bobfahrer hatten wir uns, hintereinander, eng in unser Gefährt gequetscht. Nach wenigen Metern holprigen Rollens waren wir richtig in Fahrt gekommen und die Brennesselansammlungen, Holunderbüsche, Haselsträucher, Beifuß- und kindshohen Klettenstauden flogen an uns vorüber. Links säumten Bäume mit verbotenen Früchten – Tollkirsche und Judenkirsche- aber auch wunderbare Wildrosenhecken mit prima hell- und dunkel orangeroten Hagebutten, die ein 1a Juckpulver ergaben unseren Weg, rechts die pieksige Dornenhecke mit den reifen Brombeeren.

Unsere „Rennstrecke“, die abschüssige Rampe, die wir „hinunterrasten“ , war in der „ersten“ Hohl, verlief fast parallel zum Bahndamm. Sie hatte einen Höhenunterschied von vielleicht zehn Metern und, wenn der Weg trocken war, eine Länge von 170 bis 250 Metern.
Start war auf Höhe der Bahngleise, am damaligen „Steinbruch“, der vermutlich eigentlich eine Lehmgrube war, aber die Gronauer sagten „Steinbruch“. Wie gesagt, bei trockenem Weg kamen wir in unseren Gefährt, einem Handwägelchen, fast bis zur Riedmühle, war der Weg schlammig aufgeweicht, war die Rollstrecke stark verkürzt und wir versanken schon am Ende der Rampe zum Bahngleis hoch im lehmigen Boden.

(Anmerkung des Autors: gegen „Handwägelchen“ hat mein Onkel Rainer Einspruch erhoben, er hat Recht, also hier der Text:
Was Du als Handwägelchen bezeichnest, habe ich als stabilen und für uns Buben ziemlich schweren Handwagen in Erinnerung. Schon deshalb stabil, weil Papa ihn ja selbst gebaut hatte. Gekaufte waren nicht so robust. In meiner Erinnerung war er rot-braun und Jürgen von Manger hätte ihn wahrscheinlich als „Bollerwagen“ bezeichnet, mit dem er damals seine Schwiegermutter in 3 Fuhren zum Rhein-Herne-Kanal beförderte.)

Bekanntlich haben die Götter vor das Vergnügen den Schweiß gesetzt, so auch in unserem Falle, die rasende Abfahrt war nur zu haben, weil sie verbunden war mit der „Müllabfuhr“ für unseren Haushalt.

Damals, in den fünfziger Jahren gab es noch keine kommunale Müllabfuhr und jeder Dorfbewohner entsorgte seinen Hausmüll in der ehemaligen Lehmgrube am Bahndamm. Zugegeben, damals fiel nicht viel Müll an. Verpackungsmüll war weitgehend unbekannt, vieles was man an Lebensmitteln kaufte, wurde in spitze Papiertüten abgewogen, oder in altes Zeitungspapier eingerollt. Zeitungen wurden recyclet, indem man daraus handliche Stücke schnitt, die, mit einer Kordel zusammengefasst an einem Nagel auf dem „stillen Örtchen“ – „Abe“, wie es in Gronau hieß, auf hintersinnige Verwendung warteten.
Einen Teil der Zeitung knüllte man zusammen, um damit den Küchenherd anzufeuern. Elektroherde waren damals nicht zur Hand, also mußte, allein schon um Wasser heiß zu machen fürs Abspülen, zum Waschen, Rasieren , Zähneputzen, Mittagessen kochen, der Herd Sommer wie Winter angeheizt werden.

Das war im Sinne der Müllabfuhr insofern praktisch, als daß alles Brennbare, was nicht mehr gebraucht wurde natürlich gleich verfeuert wurde. Aber im Laufe mehrerer Wochen kam dann doch ein Wenig Hausmüll zusammen. An einem Samstagmorgen holte dann mein Opa die Handkarre aus dem Schuppen, der Müll wurde aufgeladen. Die herausziehbare Vorder- und Rückwand wurde geschlossen und los ging es in die Hohl.

Um uns das Gefühl zu geben, wir würden uns unsere bevorstehende Abfahrt auch wirklich schwer verdienen, schoben wir pflichtschuldigst hinten an dem Karren mit. Natürlich war es für uns sehr anstrengend, die lange Rampe bis zu den Bahngleisen hoch zu schieben. Es kam schon öfter vor, daß Opa ganz alleine ziehen mußte, weil wir unterwegs die reiche Flora und Fauna der Wetterau bestaunten. Feuersalamander, Eidechsen, Heuschrecken und zahllose essbare Pflanzen gab es zu entdecken.

Natürlich hatten wir Buben in den Tagen zuvor schon ab und zu mal dort vorbeigeschaut, was denn da Nützliches aus dem abgekippten Abfall herauszuangeln sei. So manches Stück ausgefranster Kälberstrick, ein Meter Kordel, bunte Glasscherben, lauter Dinge von einem, für Lausbuben unschätzbaren Wert, holten wir mit geschnitzten Haselnuss- Stecken zur Wiederverwendung nach oben. Leider hinterließ der gelb- bis ockertonige Lehmboden viele verräterische Spuren an unseren Beinen und Hosenböden, so daß Oma schon wußte, wo wir wieder herkamen.

Oben angekommen, wurde der Handwagen gewendet, die Vorder- und Hinterwand hochgezogen, der Wagen vorne angehoben und mit Gepolter und Geschepper verschwand der Müll in der Tiefe des Steinbruchs.

Nun wurde die „Ladefläche“ noch kurz gesäubert, mit etwas Reisig, einem Grasbüschel die letzten Reste weggewischt, wir nahmen in Bobformation Platz, vorne mein Opa, er klemmte die vorgeklappte Deichsel zwischen die Unterschenkel, um so unser Gefährt zu steuern, hinter ihm mein Onkel Rainer und ich. Wir klammerten uns mit unseren Kinderhändchen fest an die seitliche Verkleidung des Wägelchens, damit auch Keiner unterwegs verloren ging.

Und nun, – Ein kleiner Schubs, ein leichter Ruck und los ging die wilde verwegene Fahrt
– übrigens, niemand dachte damals an einen Schutzhelm und das BESTE, unser Gefährt hatte KEINE BREMSEN