Keine Angst vorm schwarzen Mann!

von Hansfried Münchberg

Was war das? Ein leichtes Zittern unter unseren Füßen. Der Flüssigkeitsspiegel im Wasserglas begann leicht zu vibrieren, ein kurzer Blickaustausch, ein unmerkliches Kopfnicken und wir waren aufgesprungen und zur Tür hinaus.

Lange bevor die Erwachsenen etwas bemerkten, hatten wir es erkannt. Ein dumpfes Rollen ertönte von Vilbel her. Das Zittern der Erde schwoll an zu einem Beben. Das ferne Rollen kam näher und näher, wurde zu einem Grollen, zu einem unglaublichen Getöse.

Mit Riesensätzen, unter Aufbietung aller Kraftreserven hatten wir den Hof durchquert, waren vorne an der Vilbeler Straße nach links schräg gegenüber gerannt, hatten auf dem „aale Hof“, unseren Stammplatz für das erwartete Schauspiel bezogen.

Das Beben, Grollen, Getöse ging in ein unglaubliches Gekreische, Gequietsche und Rasseln über.

Die Amis waren auf dem Weg ins Manöver. In unschöner Regelmäßigkeit machten sich damals, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, unsere Befreier auf, um Marsch- und Gefechtsübungen abzuhalten, aber auch, um den Befreiten die „Macht“ ihrer Argumente anschaulich vor Augen zu führen.

Diese Militärkolonnen bestanden aus einer unglaublichen Anzahl olivgrüner Fahrzeuge aller Art. Riesige Trucks mit blubbernden Motoren, „Jeeps“ mit offenen Verdeck, nach vorne abgeklappter Windschutzscheibe, ein auf einer Lafette montiertes Maschinengewehr, an dem links und rechts die Patronengurte herunterbaumelten, aber, am imposantesten, die „Sherman-Panzer“, oder sehr häufig auch die Patton Panzer mit der langen Kanone, der eigentliche Grund für die Erschütterungen und jenes unglaubliche Geräusch.

Zeichnung eines Panzers mit Soldaten
Ungetüm mit aufgesessener Mannschaft
Zeichnung: Münchberg

Diese Monster, wahre Berge aus Metall, waren sehr schwierig zu steuern. Geradeaus ging es gut, aber um enge, rechtwinklige Kurven in den Ortsdurchfahrten herum, waren das waghalsige Manöver. Der Panzer passte nur ruckartig durch die Kurve.

Am „aale Hof“ war der beste Platz, weil die schärfste Kurve von ganz Gronau. Hier mußte das Monstrum fast bis zum Stand abgebremst werden, also viel Zeit, das dröhnende Ungetüm anzustaunen.

Uns, das heißt, meinem Onkel Rainer, damals sechs Jahre alt, und mir, einem vierjährigen Dreikäsehoch war es natürlich aufs Strengste verboten, dort zu stehen wenn die Amis kamen.

Nun, heute waren wir schneller gewesen als die Erwachsenen, die uns hätten zurückhalten können und so standen wir auf unserem Logenplatz und staunten.

Zum wiederholten Male war die Kolonne ins Stocken geraten. Das geschah oft. In den schmalen Ortsdurchfahrten fuhr sich schon mal ein Panzer fest. Jetzt waren sie völlig zum Stillstand gekommen. Von der Ladefläche eines Riesen – LKW sprang ein „amerikanischer Staatsbürger afrikanischer Abstammung“ herunter, wir sagten damals, ohne etwas Böses zu denken, ein „Neger“.

Dieser hier war so „schwarz wie die Nacht finster“ und von hünenhafter Statur. Noch bevor wir reagieren konnten, hatte er uns beim Schlaffitchen gepackt, zwischen dem Truck und einem Panzer hindurch auf die andere Straßenseite bugsiert, die zwei Stufen zum Metzger „Dauterich“ hoch und zur Ladentür hinein geschoben.

Ohne weitere Umschweife deutete er dort auf ein riesiges Fleischermesser. Gut, er hatte uns losgelassen. War jetzt die Chance zur Flucht ?

Nein! Er war zu gewaltig, dem würden wir nicht entkommen können.

Wir waren ja selbst schuld an unserem unglücklichen Schicksal. Wie oft hatte uns Oma vor den Amis gewarnt, besonders vor den Negern, „Da weiß man ja nie… !“

Der Hüne hatte etwas aus seiner Jackentasche gezogen und auf die Theke gelegt. Etwas in schwarzbraunem Papier eingewickeltes mit goldenem Aufdruck. Mit der Hand machte er zum Metzger Dauterich hin eine sägende Bewegung und sagt mit tiefdröhnender Stimme:

“Half and half !“

Der Metzger schaute erst ratlos, nickte dann aber verstehend, er nahm das Messer und teilte das dunkelbraune, knisternde Ding in der Mitte.

Mit einem Klaps auf den Hintern drückte uns der „Schwarze Riese“ jeweils eine halbe Tafel „Cadbury“ – Schokolade in die Hand, nahm uns beim Kragen, schob uns fürsorglich zwischen den stehenden, stählernen, olivgrünen Ungeheuern wieder auf die andere Straßenseite und war schon verschwunden.

Seither habe ich niemals mehr Angst vor Negern gehabt, auch keine Angst mehr vor Amerikanern, außer vielleicht vor „Schorsch Dabbeljuh Junior“, und, ich habe die erste Fremdsprache angefangen.

„Half and half !“

Foto eines Mannes
Teilte die Schokolade und
reichte uns Kindern auch gerne mal eine Scheibe Gelbwurst über den Ladentisch
Metzgermeister Otto Dauterich