Schweineborsten, Graupensuppe und andere Gefahren

von Hansfried Münchberg

In der Nachkriegszeit gab es für Kinder ein unumstößliches Gesetz, das immer wieder zu erbitterten Auseinandersetzungen mit den Erwachsenen führte. Selbst wenn man noch im zartesten Kindesalter war, also weitab vom Widerspruchsgeist der später aufkommenden Pubertät, führte dieses eine leidige Gebot zu ausgewachsenen und lautstarken Protesten, zumeist am Küchentisch.

Dieses von den Erwachsenen immer wieder mit energischer Stimme postulierte Gesetz hieß: „Es wird gegessen was auf den Tisch kommt !!!“ (Mit vielen Ausrufezeichen).

Dabei war das Ganze für unsereins, also für uns Buben, nicht ganz unproblematisch. Eingedenk der Not der frühen Nachkriegsjahre, in denen jeder froh gewesen sein sollte, daß überhaupt etwas zu essen auf den Tisch kam, drohten so gefährliche Speisen wie Graupensuppe, Froschaugensuppe (Sago), Bauchspeck mit ganz weicher weißlich-gelblich ins Ocker gehender Schwarte. Daran war besonders schlimm, daß es die Metzger damals mit dem Rasieren der Schweinebäuche nicht so besonders genau nahmen, die Schwarte war voller Borsten und wir sollten das essen, niemals!!!!

Es kam wie es kommen mußte: „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!!!!“
Also saß man vor den gräßlichen Schweinebauch, kaute lustlos darauf herum,schob es von einer Backe zur anderen hin und her, bloß nicht runterschlucken, versuchte vergeblich, etwas davon der Katze Minka zuzuschieben, die wollte aber auch nicht.

Übertroffen wurde der Schweinebauch noch von „Säufüß“-Schweinepfoten, für die es allerlei Zubereitungsarten gab, ebenso vom Schweinekopf, aus dem im Normalfall eine Sülze am heimischen Herd hergestellt wurde, all das für empfindsame Seelen, die noch dazu die Schweine gerne mal im Stall besuchten, eine arge psyschische Belastung.

Zeichnung eines kleinen Schweins
Sieht gut aus, schmeckt gut, ist oft schlecht rasiert.
Gronauer Wutz von Hansfried Münchberg

Die erwähnten Suppen wurden noch übertroffen von „Quer durch den Garten“, etwas, wobei sich mir heute noch die Nackenhaare sträuben, denn dabei waren eigentlich immer grüne Bohnen, einer der Hauptbestandteile, die überzeugten in diesen trüben Zeiten durch einen einzigen Aspekt, sie hatten Fäden, die ganz fürchterlich auf der Zunge und im Gaumen anzufühlen waren.

Zwar war Oma eine wunderbare Köchin, was sie kochte, schmeckte gut bis phantastisch, aber das Bohnenputzen für den Eintopf überließ sie immer der Urgroßmutter. Diese, eine liebe, mütterliche Frau, die wunderbar Märchen erzählen konnte, war leider, aufgrund einer Grünen- Star-Erkrankung fast vollständig erblindet. So kam es, daß Sie nie die Fäden der Grünen Bohnen erwischte. Was zu eben dieser Ungenießbarkeit des Eintopfs führte.

Die Schwarzwurzel

Rezept für Schwarzwurzelgemüse
Zutaten für 4 Portionen
50 g Butter
1 kg Schwarzwurzeln
Salz
Essig

Zubereitung:
Schwarzwurzeln waschen, schälen, sofort in Essigwasser legen, damit sie nicht braun werden. 1 l Wasser mit Salz und 3 El. Essig zum Kochen bringen, die Schwarzwurzeln hineinlegen und 30 Min. auf kleiner Flamme garen. Butter in einem Pfännchen flüssig werden lassen und leicht bräunen. Schwarzwurzeln gut abgetropft auf eine vorgewärmte Platte legen, mit der braunen Butter übergiessen.
Tip: Schwarzwurzeln können auch, gut gewaschen, mit der Schale gekocht werden. Die Schale wird danach abgezogen.

Wenn es garnichts mehr zu Essen gab, gab es auch mal einen Rübeneintopf oder Kartoffelgemüse und andere aus der Not geborene Speisen, für die man eigentlich außer Wasser und etwas Mehl zum Abbinden allenfalls noch etwas brauchte, was so am Wegesrand wuchs. Ich erinnere mich an allerlei Speisen aus Brennesseln, Löwenzahn, Schwarzwurzeln und viele andere Gewächse, die ich heute nicht mal mehr mit Namen kenne.

Wenn beim Metzger Schlachttag war, konnte man dort, mit einer Milchkanne bewaffnet, Wurstsuppe kaufen. Damit kam wenigstens etwas Fett und Fleischgeschmack in die Speisen. Den einen Liter konnte man über mehrere Tage strecken, was zwar zu einer Geschmacksverdünnung führte, aber immer noch besser war als klares Wasser als Grundlage.

Aber, bei aller Mäkelei, bei aller Not, bei allem Mangel, es gab auch Lieblingsspeisen und Leckereien, die mir heute noch das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, wenn ich nur daran denke. Dank des Organisationstalent meines Großvaters gab es auch immer wieder mal ein Stück Fleisch auf den Tisch, vorzugsweise natürlich am Wochenende.

Eine dieser Köstlichkeiten war Gänseleberwurst, mein Großvater bereitete diese zu, nach einem Rezept meiner Biebelsheimer Urgroßmutter. Soweit ich mich erinnere, kamen erst mal alle möglichen Gänseinnereien wie Magen, Nieren und Leber, gut gesäubert in den Fleischwolf. Gänseklein das vor dem Braten abgetrennt wurde, Flügel usw. wurden ebenfalls durchgedreht. Dann kamen reichlich Gewürze und Kräuter dazu, Majoran beispielsweise.

Die Masse wurde dann in die Haut des Gänsehalses eingefüllt, die dann an beiden Enden zugebunden wurde. Das Ganze wurde dann eine Weile gekocht, auskühlen lassen und dann begann ein unglaublicher Genuß!

Nachfolgend das Originalrezept und ein leichteres von Opa Heinz Hoch abgewandeltes Rezept.

Seite aus altem Rezeptbuch
altes, handschriftliches Rezept

Mindestens ebenso schmackhaft waren „Leiterchen“ in Sauerkraut, genau genommen nur Knochen mit Fleischresten dran oder Rippchen in Sauerkraut, oder Haspel, im Frühjahr, traditionell zu Gründonnerstag „Frankfurter Grie Soos“, köstlich.
Genauso beliebt waren aber auch Handkäs mit Musik, verfeinert abgewandelt vom ursprünglichen Originalrezept ,oder „Obatzda“, zwar nicht unbedingt eine hessische Spezialität, aber von meinem Großvater in vielerlei Variationen auf den Tisch gebracht, dazu noch einen Radi als Spirale oder in Ziehharmonikaform geschnitten.
„Schlaraffenland“ lag dann in Gronau in der Vilbelerstraße.