Die Gronauer Pfarrer als
„Kämpfer gegen den Bolschewismus“ (1914 bis 1919)
zusammengetragen von Hansfried Münchberg
Heute wird oft beklagt, daß die Kirchen sich über die Jahrhunderte als verlängerter Arm der Obrigkeit verstanden, beziehungsweise sich darin gefielen, bestimmte Gesellschaftsstrukturen zu zementieren. Insbesondere in der Zeit des ersten Weltkrieges und in den Folgejahren ließen die Gronauer Pfarrer an ihrer nationalen Gesinnung keinen Zweifel.
Gustav Boos ( in Gronau Gemeindepfarrer 1909-1916)
Diese Nähe zum Kaiserhaus illustriert eine Zeitungsnotiz vom 11.3. 1913
Ein Jahr nach Beginn des ersten Weltkriegs, im Jahr 1915, berichtete der Gronauer Pfarrer Gustav Boos: „Am 21. Oktober, abends 8 Uhr, sprach in unserer Kirche der Generalsekretär der Evangelischen Brüder, Lic. Brünnlich über das Thema:
“ Das deutsche Volk und sein Gott im Weltkrieg“.
Die Kollekte für die Missionsarbeit der evangelischen Brüder betrug 20 M. außerdem wurden 32 M. für Brüderschriften gegeben.“
weiter schreibt Pfarrer Boos: “Am 21. Sonntag noch Trinitatis feierten wir den Hohenzollerngedenktag zur Erinnerung an den Einzug des Hohenzollernhauses in die Mark Brandenburg im Jahre 1415.
Die Predigt knüpfte an 1. …… und zeigte,
wie sich an dem Geschlecht der Hohenzollern das Wort erfüllt hat:
“ Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“
Im Jahr 1915 berichtete Pfarrer Boos in seinen Aufzeichnungen häufiger von „Siegesläuten“ der Gronauer Glocken nach gewonnenen Schlachten im 1. Weltkrieg. Im nationalen Überschwang wurde damals vielleicht heftiger geläutet als es für die 110 Jahre zuvor gegossene große Glocke gut gewesen wäre.
Pfarrer Boos berichtet 1915 von Erfolgen des Heeres an der Ostfront: „Der Mai begann mit einem gewaltigen Erfolg auf dem östlichen Kriegsschauplatz, wo unsere und die österreichischen Truppen die russische Front auf einer Breite von etwa 100 km durchbrochen und die kampfstarken Husarteile des Feindes zum eiligen Rückzug genötigt haben. Gott gab, dass damit der Widerstand des Russenheeres zu Ende geht. Leider konnten wir diesen großen Sieg nicht mit dem üblichen Geläut begrüßen, da unsere große Glocke am 4. April 1915, dem 1. Osterfeiertag, bei dem Zusammenläuten zur Nachmittagskirche gesprungen ist.“
Ihre Herstellung bzw. Erneuerung wurde kurz darauf vom Presbyterium beschlossen und in die Wege geleitet.
Im Juli 1918, nach Millionen Toten und unsäglichem Leiden der Völker,noch 4 Monate bis Kriegsende, schreibt der Gronauer Pfarrer Carl Sopp:
„Die Fruchternte ist eingebracht und hat ein gutes Resultat ergeben. Auch hat sich genügend Regen eingestellt, sodass die Spätkartoffeln noch daraus Nutzen ziehen konnten.
Leider ist die allgemeine Stimmung eher sehr gedrückt. Der große Rückzug unserer Truppen im Westen wirkt eben sehr niederschlagend und es hilft nichts, das man den Leuten die Grundlosigkeit ihrer Niedergeschlagenheit auseinandersetzt.“
Wie er das Kriegsende erlebte berichtete Pfarrer Sopp:
„4.XI.1918
Der Kaiser dankt ab – Waffenstillstand – Kriegsende
Was haben wir erlebt, seit ich am 4.XI. zum letzten Mal in die Chronik schrieb. Niemals wird mir, der es miterlebte, die Tage vom 5. – 12.XI. vergessen können
Am 5. Nov. Der Beginn der Unruhen in Kiel, Auflehnung der Flotte, am 6.XI. vorläufige Antwort der Entente auf das Waffenstillstandsangebot, Annahme der 14 Punkte Wilsons. Am 7. Verbreitung der öffentlichen Unruhen in vielen Städten. In unserer Kreisstadt Hanau Revolte, Plünderung von Bäckerläden etc. Sozialdemokratisches Ultimatum an den Kaiser. Freitag den 8. Nov.: heller Ausbruch der Revolution. Übernahme der Gewalt im Namen u.a.A.O. durch die unabhängige Sozialdemokratie, deren Führer, Dr. med. Wagner sich zum Landrat und Schnellbacher sich zum Oberbürgermeister von Hanau machten.
Einsetzung von Arbeiter- und Soldatenräten. In Bayern wird die Republik ausgerufen. Am 9. November: Abdankung des Kaisers, das deutsche Reich Republik.
Sonntag wurde die für uns so schmachvollen Waffenstillstandsvereinbarungen veröffentlicht. An unserer Landbevölkerung ist die ganze Umwälzung mit all dem, was zu ihrer Verbreitung gehört, ziemlich eindruckslos vorbei gegangen. Schmerz über die Abdankung…“
Aber auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges blieb Pfarrer Sopp seiner nationalen Gesinnung treu und mischte sich munter in die Politik ein, bzw. versuchte, das Gronauer Kirchenvölckchen weiter entsprechend zu beeinflussen, konnte aber zunächst nicht verhindern, daß sich nach Kriegsende in Gronau ein „Arbeiter- und Soldatenrat“ etablierte, der eine Zeit die Geschicke des Ortes leitete.
Zum Ende des Jahres 1918 berichtete Pfarrer Sopp:
„Weihnachtsfeier mit Ausschweifungen
Die Gemeinde hat es sich zu Weihnachten nicht nehmen lassen, den gerade an Weihnachten hier einquartierten Truppen eine Weihnachtsfreude zu machen. Die Sammlung von Haus zu Haus erbrachte 262, 50 Mark wofür kleine Geschenke den Soldaten gekauft wurden. Soldaten luden dafür die Bewohner des Dorfes zur Weihnachtsfeier am zweiten Festtagabend ein wo in ernsten und heiteren Spielen einen Ball stattfand. Leider hat die Vergnügungssucht so ganz immense Formen angenommen. Fast jeder blieb bis tief in die Nacht hinein ja bis es zum anderen Morgen war Tanz, die Mädchen waren einfach toll und es nicht unrichtig das Urteil: „ unerhört! Die Weiber sind alle Mannstoll“. Es ist tief bedauerlich, dass in den furchtbar ernsten Zeiten sich Angehörige eines Volkes, das so schrecklich niedergebrochen ist und so furchtbar dunklen Zeiten entgegengeht so benehmen können. Vernünftige Leute haben das auch gefühlt und die Einquartierung zum Teufel gewünscht. Wer hätte gedacht, daß das Jahr 1918 so schließen würde. Wohin sich das Auge wendet Durcheinander, unhaltbare Verhältnissen Man musste verzweifeln, wenn man nicht wüsste Gott sitzt im Regiment und führt alles. Das ist nun Zuversicht und Hoffnung für das neue Jahr 1919
Aus den Nachkriegsjahren 1919 / 20 berichtet Pfarrer Carl Sopp:
„Am 19. Januar 1919 fand die Wahl zur Nationalversammlung und am 26. die Wahl zur hessischen Landesversammlung statt. Alle Parteien hielten in Gronau Versammlung bzw. in Niederdorfelden ab.“
Weiter berichtet es stolz über seine Erfolge: „Am 12. Januar hielt der Ortspfarrer vor einer sehr gut besuchten Versammlung im Gasthaus “Rose“ einen Vortrag über Trennung von Kirche und Staat. In der anschließenden Diskussion wurden einige Sozialdemokraten von Niederdorfelden „kaltgestellt“
Sein Vortrag beleuchtete die Stellung der einzelnen Parteien zur Kirche. Daß dabei die Sozialdemokratie mit den Erfurter Programm nicht gut abschneiden konnte, hielt er, wie er schrieb, für selbstverständlich.“
Weiter schrieb Pfarr Sopp:“Am 16. Januar sprach Fräulein Seminar- Lehrerin Claudia Thiel für die deutsch- nationale Partei. In einem zweistündigen fesselnden Vortrag gelang es ihr, die Ziele der Partei so klar herauszustellen, dass dieser Vortrag wohl wesentlich zu dem Wahlergebnis in Gronau beigetragen hat.“
Es wählten deutsch- nationale den Pfarrer Veidt 166,
deutsch liberale Volkspartei Liste Riester 9,
deutsch Demokratische Partei 17,
Zentrum 1,
Sozialisten 68,
Unabhängige 9.
„Erfreulicherweise“ bemerkte der Ortspfarrer, „hat es keine besondere Mühe gemacht, die Frauen zur Wahl zu veranlassen., sie hatten doch wohl alle das Gebot der Stunde erkannt. Nur 18 Personen die ohne Krankheit zum größten Teil an der Wahl verhindern waren, haben nicht gewählt…..“
Am 24. Januar, so berichtet der Gronauer Pfarrer, am Tage vor der Wahl, fand noch eine Wahlversammlung statt von Seiten der Demokratischen Partei ins Leben gerufen. Der Redner glaubt bei dem Bauern leichtes Spiel zu haben, und konnte nicht ahnen, dass die Deutschnationale Partei einen guten Diskussionsredner geschickt hatte, der den Demokraten gehörig standhielt. Der Erfolg der Demokraten war gleich null. Die Stimmenzahl war am 25. für alle Parteien geringer. Aber das Verhältnis war das gleiche wie bei der Wahl am 19. Volks Nationale 158, Deutsch Liberale Volkspartei 7, Zentrum 0, Demokratische Volkspartei 16. Regierungs- Sozial-demokraten 63, Unabhängige 36.
Die Stimmenzahl zur Hessischen Landesversammlung war am 25. Januar für alle Parteien geringer. Aber das Verhältnis war das gleiche wie bei der Wahl am 19. Januar
Volks Nationale 158,
Deutsch Liberale Volkspartei 7,
Zentrum 0,
Demokratische Volkspartei 16.
Regierungs- Sozialdemokraten 63,
Unabhängige 36.
Der Pfarrer bemerkte in seinen Aufzeichnungen: „Im Allgemeinen ist sehr zu bedauern, dass viele kleine Bauern verärgert und missmutig, Sozialdemokraten gewählt haben. Große Erregung hat der Wahlkampf der Gemeinde nicht verursacht.“
Der Pfarrer und der Bolschewismus
Am Sonntag in 9. März 1919 hielt Pfarrer Sopp nach eigenen Berichten in dem gut gefüllten Saal der Gastwirtschaft „zur Rose“ einen aufklärenden Vortrag über den Bolschewismus. Solche Gemeindeabende sollten, nach seiner Meinung künftig wieder etwas öfter stattfinden zum Zweck der Belehrung und Ansprache. So hielt denn auch schon 14 Tage später Dr. med. Münch, der Sohn des früheren Pfarrers der Gemeinde Gronau im Saale der Bahnhofswirtschaft einen Vortrag über das Thema „Warum wir den Krieg verloren haben.“ Auch hier war die Gemeinde beinahe vollständig vertreten.
Schlechtes Frühjahrswetter
Der Gronauer Pfarrer schreibt in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahr 1919: „Durch das anhaltend schlechte Wetter bis Ostern sind die Landwirte in der Bestellung ihrer Felder noch sehr zurück. Nun ist es seit Karfreitag besser geworden und es kann tüchtig gearbeitet werden. Es ist dieses Jahr so notwendig wie noch nie, dass bald etwas erzeugt wird, um den Hunger zu stillen. Die von den Feinden gelieferten Vorräte sind so gering, das wir sie die Not kaum lindern können und noch immer ist die Hunger- Blockade nicht aufgehoben und ein Friede steht noch aus.
Im ganzen Land gibt es Unruhen und Streiks, in Bayern offener Umsturz und Blutvergießen.“
Volk ist „stumpf“ geworden
Pfarrer Sopp schreibt schon sehr resigniert im Jahr 1919: „Unser Volk ist im Allgemeinen stumpf geworden. Das Hangen und Bangen um den Frieden hat einen nur geringen Eindruck gemacht. Nur ein Tag hat größere Erregung gebracht der, 23. Juni als die Besetzung unseres Gebietes durch die Franzosen nahe bevorstand, konnte auf die, denen es nach ihrer Aussage einerlei war, Französisch Englisch oder Deutsch zu werden, in feiger Angst aufheulen. Es hätte manchem wahrlich nichts geschadet, wenn er den Krieg am eigenen Leibe hätte zu spüren bekommen, leider mussten nun die Unschuldigen mit den Schuldigen leiden. Nun ist der Gewalt und Schlussfriede geschlossen, Wird ein solcher Friede von Bestand sein können?
Im lieben Vaterland wird trotz aller Not lustig weiter gestreikt und getanzt.
Die Kirchen sind der leer, die Stätten der Lust gefüllt bis oben“.