Aus: Mannheimer Zeitung Sonntags⸗Ausgabe

Samstag, 13. Juli/ Sonntag, 14. Juli 1935

 

Das schmucke Rathaus aus dem Jahre 1743

Als wir unseren Wagen durch die betriebsamen Straßen Frankfurts, über den von der Sonne glühenden Asphalt seiner Vorstädte gesteuert hatten, da war nach einer Viertelstunde flotter Fahrt bereits der Zipfel hessischen Landes erreicht, auf dem die schmucke Gemeinde liegt, die den Bürgern der Mainmetropole durch ihr Mineralwasser, ihren Gelbsand und die wackeren Maurer, die von dort kommen, wohlbekannt ist.  Gewiss, man weiß es in Frankfurt, der Stadt, wo die feinsten Zungen im Apfelweinprobieren zu Hause sind, wohl zu schätzen, daß aus Vilbel auch ein guter Tropfen kommt, daß es in dieser reizvollen Kleinstadt viele gemütliche Gelegenheiten gibt, wo man seinen auf „Äppelwoi“ eingestellten Frankfurter Durst löschen kann aber von dem werdenden, aufstrebenden Badeort Vilbel scheint man in der benachbarten Großstadt noch nicht die richtige Notiz genommen zu haben. Wir kommen in Vilbel an, als die Sonne wie eine feurige Scheibe am Himmel steht und freigebig ihre Glut verschenkt. Zur Mittagszeit.

Der Vilbeler Mineralbrunnen

In einer weiten grünen Senke breitet sich die kleine Stadt aus. Violette Tupfen der Dächer sitzen im aquarellfrischen Grün der Gärten. Kirchtürme stoßen spitz in die Höhe. Irgendwo zwischen dem Bunt der Häuser und dem üppigen Grün schlängelt sich die zierliche Nidda durch das Tal. Vor uns klirrt und scheppert ein Lastautomobil mit seiner Fracht: Leeren Mineralwasserflaschen. Als die aus Vilbel kommen, entgegen. Auch sie klirren in dergleichen Melodie. Also ist es doch richtig, was der kundige Frankfurter an der Friedberger Anlage sagte, den wir um den Weg befragten:„Nach Vilbel, jawoll, geradeaus, da sind sie alle von Kopf bis Fuß auf Wasser eingestellt!“ Jetzt sind wir heran. Die ersten Häuser tauchen auf. Überall Fachwerk, so wie man es in Hessen findet, in den weiten Bezirken zwischen Darmstadt und Kassel. Diese hübschen, blitzblanken Häuser, über deren Dächern und steilen Giebeln sich ein prächtig blauer, wahrhaft sommerlicher Himmel wölbt, stehen auf altem Kulturboden.

So loben die Vilbeler ihr edles Nass –  Plakat an einer Hausmauer

 

Hier an den Ufern der Nidda haben bereits die Römer Villen errichtet, haben Legionäre gebadet und wahrscheinlich haben die lateinischen Eroberer auch schon vom Vorhandensein der heilenden und erfrischenden Mineralwässer gewußt, die heute Vilbels Namen bekannt gemacht haben. Denn man hat bei Vilbel vor Jahren einen schön erhaltenen Mosaikboden gefunden, der auf ein römisches Badehaus hinweist.

Immer war der Ort am Übergang des Flusses ein Kreuzungspunkt uralter Wetteraustraßen. Was wunders, daß hier im Mittelalter verwegene Raubritter auf der Lauer lagen, um den „Pfeffersäcken“ die Wagenzüge zu plündern. Es hat, wie überall in Deutschland, auch für Vilbel schlimme Zeiten gegeben. Oft standen schlimme Gewitter am Horizont, die Brandfackel mancher Kriege ließ viele Anwesen in Flammen aufgehen und dann im Schutt versinken. Aber der Menschenschlag, der hier zu Hause ist, der optimistische, tatkräftige Wetterauer, behielt stets den Kopf oben und hat so allen Nackenschlägen zum Trotz Vilbel zu dem Wohlstand verholfen, der heute beredt aus allen Häusern, aus Gärten und schönen Anlagen spricht. Während der bewegten Tage des Mittelalters genoß das Städtchen eigentlich nur dank seinen Sandsteinbrüchen gewisse Berühmtheit. Dort brach man große Mengen von Bruchsandstein, die besonders in Westfalen ihren Absatz fanden.

Da, eines schönen Tages wurde die längst vergessene Mineralquelle wieder entdeckt, und ihre Heilwirkung wird in einem Buch, dͤas  Anno 1543 erschien und das sich New Wasserschatz, beschrieben durch Jacobum Theodorum Tabernbemontarum der Artzney Doctorem“ betitelte, in klingenden Worten gepriesen. Des langen und breiten ist darin„Von dem Fülfeler Sauwerbrunnen und von seiner Krafft und Wirkung“ die Rede. Aus dem privaten Quellenbetrieb der„guten, alten Zeit“ hat ſich dann im Laufe der Jahrhunderte ein Mineralwassergewerbe entwickelt, das allerdings anfangs noch ziemlich unbedeutend blieb. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts wanderten die wackeren Vilbeler, das köſtliche, gesundheitsfördernde Wasser in Steinkrügen auf dem Rücken tragend— die Krüge waren paarweise mit Riemen verbunden— nach dem nahen Frankfurt. Dort wurde das edle Nass meist in Privathäusern abgesetzt. Es war noch ein recht altmodischer Handel, der allerdings einer gewissen Romantik nicht entbehrte. Erst als im Jahre 1900 eine spezifische Heilquelle erbohrt und mit dieser 532 Liter in der Minute liefernden Quelle größere Mengen gasförmiger Kohlensäure gewonnen wurden, kam man dahinter, daß die Vilbeler Erde einen gewinn verheißenden Bodenschatz berge. Jetzt begann eine förmliche Jagd nach Mineralquellen. Ein Fieber hatte die kleine Stadt gepackt. Man suchte, man tastete und die Arbeit sollte nicht ohne Erfolg bleiben.

Blick auf die malerischen Nidda-Ufer

Da, eines schönen Tages wurde die längst vergessene Mineralquelle wieder entdeckt, und ihre Heilwirkung wird in einem Buch, dͤas Anno 1543 erschien und das sich New Wasserschatz, beschrieben durch Jacobum Theodorum Tabernbemontarum der ArtzneyDoctorem“ betitelte, in klingenden Worten gepriesen. Des langen und breiten ist darin„Von dem Fülfeler Sauwerbrunnen und von seiner Krafft und Wirkung“ die Rede. Aus dem privaten Quellenbetrieb der„guten, alten Zeit“ hat ſich dann im Laufe der Jahrhunderte ein Mineralwassergewerbe entwickelt, das allerdings anfangs noch ziemlich unbedeutend blieb. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts wanderten die wackeren Vilbeler, das köstliche, gesundheitsfördernde Wasser in Steinkrügen auf dem Rücken tragend— die Krüge waren paarweise mit Riemen verbunden— nach dem nahen Frankfurt. Dort wurde das edle Nass meist in Privathäusern abgesetzt. Es war noch ein recht altmodischer Handel,

Das schön gelegene Kurhaus des jungen Badeortes

Vilbeler Mineralwasser wird in Flaschen gefüllt

Im Laufe der letzten 35 Jahre wurden über 30 Quellen erschlossen. Was früher eine Spielerei war, das Abzapfen des mineralhaltigen Wassers, wurde jetzt zu einer Industrie, die Arbeit und Brot gab. Aus den altväterlichen Quellenbetrieben entstanden Firmen, die mit den modernsten Verfahren ans Werk gingen. Den vielen biedermeierlich bunten, gemütlichen Häusern sieht man es eigentlich gar nicht an, daß sie solche Mineralwasserbetriebe bergen. Und doch ist es so. Überall hinter den alten Fassaden erheben sich neue Häuser, Schuppen, Flaschen – Magazine. Wir stehen plötzlich mitten im lebhaftesten Getriebe. Um uns herum rotieren Maschinenräder, klirrt es leise nach Glas, gibt es ein laufendes Band, das automatisch die Reinigung, die Füllung, den Verschluß und endlich die Etikettierung der Flaschen besorgt. Flinke Mädchenarme huschen zwischen den funkelnden Apparaten hin und her. Licht flutet aus weiten Fenstern in diese Räume, Sonnenstrahlen spielen über die eisernen Förderbänder und über die Wundermaschinen, die in der Stunde 2500 Flaschen mit dem Wasser aus Vilbels Boden füllen. Enteisenungsanlagen, Einrichtungen zur Kohlensäureverflüssigung und viele andere technischen Dinge, die der Laie staunend besieht, weil er dͤas alles hier nicht vermutet hatte, finden sich im zweckmäßig eingerichteten Werk. Ist das Wasser, das aus Kupferröhren aus der Erde kommt und dann in die  Abfüllräume gewandert ist, unter Kohlensäuredruck in glitzernden Flaschen, so geht’s auf die große Reise. Dann stehen Flaschen neben Flaschen, ganze gläserne Kompanien auf den metallenen Gestellen der Transportwagen. Überall, in Mitteldeutschland, im Rhein-Main-Gebiet, in Baden und in der Pfalz, kennt man das Vilbeler Wasser. Auch als Kurbad ist die anmutige Stadt an der Nidda bereits bekannt geworden. Man gibt hier Bäder, die von bester heilkräftigster Wirkung sein sollen. Ein schönes großes Kurhaus liegt in einer netten Grünanlage. Man sieht es hell aufleuchten in der prallen Sonne, wenn man im D-Zug von Frankfurt nach Norddeutschland fährt.

Wir bummeln in der Nachmittagsstunde durch die Straßen und die verträumten Gassen, die noch den fröhlichen Schmuck eines zu Ende gegangenen Volksfestes tragen. Da ist die Ruine der alten Wasserburg, in der einst der gefährliche Schrecken der Landstraßen, Ritter Bertram von Vilbel, hauste, da ist der Stdͤtteil Alt-Vilbel, schmale Gässchen und steile Treppen, die am Berghang kleben, da ist ein wahres Schmuckkästlein aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, das Rathaus mit ſeiner reich verzierten Fachwerkfassade, da sind schöne Gärten, die über Hügel heiter hinweg ziehen oder sich an die muntere Nidda anschmiegen. So ist Vilbel, die hessische Grenzgemeinde vor den Toren des großen Frankfurts. Es ist Abend, als wir zurückfahren. An den ragenden Eisenmasten des Senders Heiligenstock vorüber. Zurück nach Frankfurt, über dessen Straßen schon der farbige Zauber von Kinotransparenten und Neonröhren, die Zahnpasten und Automobile anpreisen, aufglüht. Und doch sollte uns auf der Heimfahrt nach Mannheim der Gedanke an Vilbel nicht verlassen, denn vor uns rattert ein kräftiges Lastauto, schwer bepackt mit Mineralwasser. Vilbeler Wasser fährt über die Autobahn.

  1. W. Fennel.

Sämtliche Aufnahmen: E. W. Feunel

Eine Kirche wie aus Urgroßvaters Tagen