Gronau im ersten Weltkrieg
Das letzte Kriegsjahr 1918
Gronau 1918 – Große Trockenheit
Nach den schwierigen ersten Kriegsjahren, nach anfänglicher Euphorie und nationalem Überschwang, nachdem erste Verluste bei den Gronauer Soldaten aufgetreten waren, verschlechterte sich die Versorgungslage im Laufe des Krieges mehr und mehr.
Der Abnutzungs- und Zermürbungskrieg hatte auf allen Seiten zu einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit geführt. Die anfängliche Siegeszuversicht ist immer mehr in große Verzagtheit umgeschlagen.
Das Jahr 1918 machte mit Wetterkapriolen die Versorgungslage noch schwieriger.
Mehl – Schieberei
Mehr Erregung als der Friedensschluss mit der Ukraine, der Wiederbeginn der Feindseligkeiten mit Russland und der Friedensschluss mit Russland hat die Entdeckung der großen Mehlverschiebung in Heimatkreis Hanau gemacht.
Gronau (damals Landkreis Hanau) ist insofern beteiligt, als der auf Gronauer Gebiet während der Krieges wohnende Müller von der Scharmühle auch in die Untersuchung hineingezogen worden ist. Inwieweit er an den Schiebungen mit schuld ist, bedarf der Aufklärung, jedenfalls ist es auffallend, dass die Bevölkerung der Umgegend ihn nicht für schuldig hält, obwohl er keineswegs etwa das Mehl der Leute heimlich gemahlen hat und deshalb die Stimmung für ihn gut ist, nein, das einzige, was die Leute sagen, ist dies: “Hätte er für uns gemahlen, so wäre es nicht herausgekommen.“
Dagegen wird vielfach dem auch eingesetzten Kreisobstbautechniker eine exemplarische Strafe gegönnt, weil er die Leute von oben herab behandelte, sie bei kleinen Vergehen hart strafen ließ, während er doch in großem Umfang den Schwindel treibt
Frieden im Osten
Sang- und Klanglos ist der Friedensvertrag von Brest-Litowsk (März 1918) im Osten begrüßt worden. Die laute Freude scheint erstorben. Wohl sieht man in diesem Ereignis doch einen Schritt zum allgemeinen Frieden, aber der Druck der in Aussicht stehenden neuen Grosskämpfe im Westen ist so stark, dass der laute Jubel schweigt.
Kurz darauf musste er abtreten!
Schwer lasten auf der ländlichen Bevölkerung die umgehenden Abgaben an Heu und Stroh. Futternot drückt härter als die Nahrungssorgen für die Menschen. Auch da steht es ja freilich schlimm. Von maßgebender Stelle ist erklärt worden, dass nach den auf der Wirtschaftskarte gemachten Angaben die Versorgung mit Brotfrucht Mitte April zu Ende sei. Doch stehe zu hoffen, dass noch genügend Vorräte gedrückt seien, die nun erfasst werden müssten um durchhalten zu können.
Die Landwirte sind wirklich, bis auf wenige, zur Abgabe alles dessen, was sie nicht mehr nötig haben, bereit. Freilich tut es ihnen bitter weh, wenn sie ihr Vieh so herunterkommen sehen.
Die Bauern gehen davon aus, daß unter diesen trüben Verhältnissen der Ernteertrag immer weiter zurück gehen müsse.
Es keimt die Hoffnung, von den Vorräten der Ukraine einen guten Teil zu bekommen, damit das Durchhalten des Deutschen Reiches nicht infolge Nahrungsmittelnot gefährdet ist.
Schöne Frühlingstage
Die wunderschönen Frühlings-Tage haben den Landwirten in ihrer Arbeit bei der Aussaat tüchtig geholfen. Das meiste ist nun geschafft und die Bearbeitung des Bodens geht gut, da der Boden sehr locker ist.
Das Wetter war im Allgemeinen günstig. Einige kalte Nächte im Anfang April haben der Blüte sehr geschadet, sodass es dieses Jahr weniger Obst geben wird als im vergangenen Jahr.
Der Chronist berichtet: „Sonst steht draußen alles sehr gut und es ist eine Freude durch die Fluren zu wandern. Das macht Mut zum weiteren Durchhalten.“
Große Trockenheit
Im Verlauf des Frühsommers erlebt Gronau eine große Trockenheit.
Am 10. Juni hatte es ein wenig geregnet, aber der stark andauernde Wind vertrieb alle Regenwolken.
Doch ist das Heu gut und schnell eingefahren, aber die Trockenheit ist eine große Gefahr für die neue Ernte.
Die Kartoffeln haben dringend zum Ansatz den Regen nötig, alle Gemüsepflanzen wie Bohnen etc. stehen ohne zu wachsen, das Ungeziefer nimmt überhand, sodass das wenige vorhandene Obst abfällt, nachdem die Raupen die Bäume von den Blättern leer gegessen haben.
Im Juni hat es dann zum Glück auch mal geregnet, sodass doch die notwendige Feuchtigkeit in den Boden gekommen ist. Die kühle Temperatur soll, wie die Landleute sagen, weiter nicht schädlich sein, eher nützlich, weil bei der Kühle die Körner der Brotfrucht besser und voller werden als bei starker Hitze.
Ende Juni 1918 ist die Frucht- Ernte im Gange. Korn, Weizen und Gerste sind gut, volle schwere Körner gibt es. Der Hafer lässt zu wünschen übrig. Die Frühkartoffeln sind mäßig ausgefallen.
Ende Juli 1918 ist die Fruchternte, auch mit Hilfe russischer Kriegsgefangener, die zur Zwangsarbeit eingesetzt waren, eingebracht und hat ein gutes Resultat ergeben. Auch hat sich genügend Regen eingestellt, sodass die Spätkartoffeln noch daraus Nutzen ziehen konnten.
Die allgemeine Stimmung ist eher sehr gedrückt. Der große Rückzug der deutschen Truppen im Westen wirkt sehr niederschlagend. Versuche, durch positive Propaganda den Kampfeswillen zu stärken schlagen immer mehr fehl.
Ernste Sorgen machen auch die Heizungs- und Beleuchtungsfrage für den kommenden Winter. Es hat sehr verstimmend unter dem Bauern gewirkt, dass die in Gronau wohnenden Eisenbahnbeamten 30 Zentner Kohlen erhalten haben, während es für die übrigen Einwohner noch nicht die Hälfte gegeben hat.
Gronau H.N. (Hamster-Nest)
Sehr zugenommen hat auch wieder das Hamsterunwesen.
Wohl ist die Hamsterei eine Zeitlang, durch den Gendarmen eingedämmt worden, doch ließ sich seit einiger Zeit kein Gendarm mehr sehen.
Noch Jahre später, schrieb Ph. Gönner, Frankfurt am Main in einem Reisebericht:.
„Am 15. Juli dieses Jahres (1929), mittags 12 Uhr bestieg ich
in Frankfurt am Main am Hauptbahnhof das Lauterbacher Zügle,
das mich nach Ilbeshausen in den hohen Vogelsberg bringen
sollte. — Es war ein richtiger Ferienzug, in dem ich mich befand.
Schon hinter Vilbel wurde mir dies klar. „Dem Glücklichen schlägt
keine Stunde“, war sein Motto. An der nächsten Station bereits,
die bekanntlich hinter dem Namen Gronau die Buchstaben H. N.,
d. h. nicht etwa Hessen-Nassau, sondern Hamster-Nest, zum
Andenken an die schönen Zeiten nach dem Kriege trägt, begann die
Sorglosigkeit-.“
Früher Herbstbeginn
Nach einigen sehr heißen Augusttagen hat der September einen frühen Herbst gebracht. Die Krummeternte ist sehr gering da infolge der Trockenheit kaum Gras gewachsen ist.
Es wird gehofft, daß der ausgiebige Regen im Anfang September dem Gemüse noch etwas nutzen möge, denn Kraut, Winterkohlrabi und Wirsing sind beinahe ganz verdorben, zum Teil vertrocknet, teilweise von dem Ungeziefer gefressen. Kein Obst und fast keine Gemüse, dazu eine weit geringere Kartoffelernte als im Vorjahr, das sind keine guten Aussichten für den Winter und das kommende Frühjahr.
Die Stimmung ist überall sehr schlecht. Laut und lauter wird der Ruf nach einem Frieden unter jeder Bedingung.
Die Westfront bricht unter dem Druck der angreifenden Alliierten nach und nach zusammen.
Am 5. November dann brechen Marinesoldaten in Kiel eine Revolte vom Zaum. Am 9. November ist es soweit, der Kaiser dankt ab. Wenige Tage später treten die Waffenstillstandsvereinbarungen in Kraft.
Der Erste Weltkrieg ist zu Ende.
Aber damit hat die Not der Bevölkerung lange kein Ende gefunden.
Noch stehen den Gronauern aber weitere Jahre der Not und Entbehrung bevor, bevor sich die Wirtschaft und die Landwirtschaft von den verheerenden Jahren des Krieges erholen kann.