Die Gronauer Landwirtschaft im Wandel der Zeiten

von Werner Schwind

Die Landwirtschaft in Gronau ist wesentlich älter als 1200 Jahre, denn die Bestellung des Bodens begann bereits mit dem Seßhaftwerden der Menschen.
Das Gebiet um Gronau war schon wesentlich vor der ersten urkundlichen Erwähnung besiedelt, was Ausgrabungen römischer Gutshöfe und noch ältere Funde beweisen. Aus den Ansiedlungen von Menschen hier am Zusammenfluß von Nidder und Nidda wuchs im Laufe der Jahrhunderte ein Dörflein, das man bei liebevoller Betrachtung als beglückend harmonisch empfindet.

Die hohe Ertragsfähigkeit des guten Lehmbodens mit Bodenzahlen zwischen 50 und 80, das milde Klima mit relativ wenigen Früh- und Spätfrösten sowie Niederschläge um 450 bis 600 mm pro Jahr waren günstige Voraussetzungen für das Entstehen einer intakten Landwirtschaft. Die Einwohner waren vorwiegend Bauern, aber auch die im Umfeld der Landwirtschaft angesiedelten Handwerker wie Schmied, Wagner oder Sattler sorgten wie auch der Pfarrer selbst für ihre Nahrungsmittel, indem sie einige Äcker selbst bewirtschafteten, was daraus hervorgeht, daß im alten Ortskern jedem Haus eine Scheune zugeordnet ist. Bestellt wurde die ganze Gemarkung, sogar die Wegränder waren zur Futtergewinnung verpachtet. Peinlich genau achteten die Pächter darauf, daß ihre Grenzen nicht verletzt wurden.

Zeichnung von Schweinen

Unterschiede in der Betriebsstruktur gab es fast keine. Jeder hielt Kühe, Schweine, Hühner. Gänse und Enten. Als Zugtiere dienten in kleineren Betrieben Kühe, in den etwas größeren Pferde oder auch Ochsen, die man wegen ihrer großen Kraft schätzte. Die Gerätschaften (klick) für die Bodenbearbeitung waren der Pflug und die Egge, gesät wurde von Hand aus dem Sätuch. und die Ernte des Getreides erfolgte zunächst mit der Sichel, später mit dem Reff (Sense mit einem Bügel, der das Überkippen der langen Getreidehalme über den Stiel verhinderte, dadurch legte man das Getreide beim Mähen in gehäuften Reihen oder Schwaden ab). Beim Dreschen wurde der Dreschflegel eingesetzt.

Alter Leiterwagen

Obwohl weiterhin für alle Transportaufgaben nur der eisenbereifte Ackerwagen, der zur Heu- und Getreideernte als Leiterwagen umgerüstet wurde, zur Verfügung stand, verlangte die um die Jahrhundertwende in Gronau einsetzende Mechanisierung (Grasmäher, Sämaschine usw.) allmählich größere Flächen. Die Gronauer Gemarkung war durch die Realteilung sehr zersplittert und nicht alle Grundstücke hatten Wegeanschluß. Aus diesen Gründen entschloß man sich im Jahre 1898, eine Flurbereinigung durchzuführen.

Von der hohen Qualifikation des beauftragten Landmessers zeugen die noch heute bestehende gute Entwässerung der Gemarkung und das vorbildlich angelegte Wegenetz. Lediglich 1952 wurde wegen einer Grenzbegradigungsmaßnahme mit Bergen-Enkheim eine kleinere Veränderung vorgenommen.

Offenbar waren jedoch nicht alle der etwa 50 Bauern mit dieser Flurbereinigung einverstanden, bzw. sie erkannten zu spät die davon abhängigen wirtschaftlichen Vorteile, denn nach gar nicht langer Zeit begann der Prozeß der Zerteilung der großen Äcker von neuem. Der Gerechtigkeit Genüge zu tun war bei dem teilweise beträchtlichen Unterschied der Bodenqualität auch keine leichte Aufgabe, denn damals konnte durch mineralische Düngung noch kein Ausgleich geschaffen werden.

Erst nach der Flurbereinigung 1898 war es durch die Anlage neuer Gräben (Vorfluter) möglich, staunasse Äcker oder nasse, sumpfige Stellen im Gelände durch Drainagen zu entwässern und somit anbaufähig zu machen. Zwischen den beiden Weltkriegen wurde dadurch aus manchem „Wasserloch“ fruchtbares Ackerland. So gehört z.B. die „Wüste Eller“ (wie der Flurname schon andeutet, wüstes, unwirtschaftliches Land) heute zu den fruchtbarsten Gegenden. Oft fehlen jedoch Pläne derartiger Drainagen, weshalb bei Verstopfungen der Röhren und dadurch auftretenden nassen Stellen in den Äckern umständliche Grabungen erforderlich sind.

Alle kulturverbessernden Maßnahmen brachten neben Fortschritten in der Tier- und Pflanzenzucht erhebliche Ertragssteigerungen, die aber voll und ganz nötig waren, um den gestiegenen Nahrungsmittelbedarf zu decken. Durch die relativ geringe Entfernung zu Frankfurt bestanden besonders für Kartoffeln, aber auch für Milch und Obst gute Absatzmöglichkeiten, deren Nutzung man sich nicht entgehen lassen wollte, weshalb zwischen den beiden Weltkriegen etliche Apfelbäume auf gutem Ackerland angepflanzt wurden.

Foto eines Mannes auf einem alten Traktor

Kurz nach Beginn des zweiten Weltkrieges traf in Gronau der erste Traktor ein, der legendäre Lanz-Bulldog. Durch die Kriegseinwirkung wurde die gerade beginnende Motorisierung der Landwirtschaft rapide gestoppt. Wie überall wurden Bauernsöhne und Betriebsleiter zur Wehrmacht eingezogen, die Last der Betriebsführung verlagerte sich auf die Frauen und Altbauern. Über ein peinlich genau einzuhaltendes Ablieferungssystem hatten sie zusammen mit Kriegsgefangenen die Versorgung des Volkes sicherzustellen.

Zwischen der Gronauer Bevölkerung und den ihnen zugeteilten Gefangenen herrschte ein gutes Verhältnis, was durch die Tatsache zu belegen ist, daß sich letztere bei drohenden Übergriffen und Plünderungen durch andere befreite Kriegsgefangene schützend vor die Gronauer Bürger stellten.

Der Zusammenbruch 1945 brachte den Flüchtlingsstrom aus dem Osten auch nach Gronau.
Die Vertriebenen fanden in jedem Bauernhaus Aufnahme, woraus sich bis heute bestehende Freundschaften entwickelten. In der Zeit bis zur Währungsreform entstanden auch viele Bekanntschaften mit Familien aus dem Frankfurter Raum, denn viele Mütter und Väter kamen zum „Hamstern“, um ihre Familien mit dem Nötigsten zu versorgen.

Zeichnung eines Pferdegespanns und eines Grasmähers

Die damals noch nicht völlig ausreichende Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung wurde in den folgenden Jahren durch höhere Erträge, bedingt durch mineralische Düngung und intensivere Bodenbearbeitung, sichergestellt.
Anfang der 50er Jahre setzte in der Landwirtschaft eine Entwicklung ein, die bezüglich Betriebsstruktur, Mechanisierung, Düngung, Pflanzenschutz usw. viele Umwälzungen und Veränderungen brachte und bis heute noch nicht abgeschlossen ist.

Der Traktor zog endgültig in die landwirtschaftlichen Betriebe ein und verdrängte bis Anfang der 60er Jahre die Pferde fast vollständig, obwohl man noch 1952 an den Landwirtschaftsschulen die Meinung vertrat, daß eine Bestellung der Felder ohne Pferde nicht möglich sei.

Foto eines alten, grünen Traktors
Foto eines alten, blauen Traktors
Fleißge Helfer des Gronauer Landwirts: Fendt Dieselross (Prod. 1949-57) und Hanomag R16 (Produktion 1951-57) Spott der Gronauer Buben:
„Ein bißchen Blech, ein bißchen Lack und fertig ist der Hanomag“

Im Getreidebau wurde das System des Selbstbinders mit anschließendem Aufstellen der Garben von Hand, dem Einfahren und Dreschen in der Scheune, komplett vom Mähdrescher abgelöst.

Die immer besser werdenden Verdienstmöglichkeiten in der aufstrebenden Industrie des nahen Rhein-Main-Gebietes entzogen der Landwirtschaft früher noch bezahlbare Arbeitskräfte. Deshalb beeinflußten Mechanisierungen von Arbeitsvorgängen und die Möglichkeit, Bestände mit Pflanzenschutzmitteln gesund und unkrautfrei zu halten, den Anbau mehr und mehr.

Der Getreideanteil in der Fruchtfolge stieg um ca. 15 % auf nunmehr 70 % der Ackerfläche. Sogar um ca. 100 % steigerte sich der Zuckerrübenanbau, was auf genetisch einkeimiges Saatgut bzw. Einzelkornsaat, also verringerten Handarbeitsaufwand, zurückzuführen ist. Eine weitere Flächenausdehnung ist jedoch wegen bestehender Lieferquoten nicht möglich.
In der Tierhaltung löste der Silomais weitgehend die Futterrübe als Winterfutter ab. Der Feldfutteranbau als Ganzes befindet sich jedoch auf dem Rückzug, da die Zahl der Rindviehhalter ständig schrumpft. Wurden 1950 in jedem Gronauer Betrieb Kühe gehalten, findet man sie heute nur noch in drei Betrieben vor. Auch die Mastbullenhaltung, die vor Jahren aus arbeitswirtschaftlichen Gründen die Kuhhaltung ablöste, wird durch Betriebsaufgaben und unbefriedigende Erlöse bedingt immer mehr eingeschränkt. Ähnlich erging es dem Kartoffelanbau, den veränderte Eßgewohnheiten und ein völlig unkalkulierbarer Markt von 20 – 25 ha im Jahre 1955 in Gronau auf heute 3 – 4 ha zurückgehen ließen.

Bei den Ernteerträgen ist in den letzten Jahren bei Zuckerrüben und Kartoffeln kein nennenswerter Anstieg zu erkennen. Beim Getreide jedoch konnten ertragsreichere Sorten und der gezielte Einsatz von Pflanzenbehandlungs- und Pflanzenernährungsmitteln die Ertragsleistung erhöhen. Konnte man vor 30 Jahren eine Weizenernte von 45 – 50 dt/ha als sehr gut bezeichnen, stellen heute Erträge von 60 dt/ha und darüber hinaus keine Seltenheit dar. Beim Roggen und der Braugerste kommt man auch in guten Jahren jedoch kaum über 50 dt/ha hinaus, immer unter der Voraussetzung günstiger Witterungsverhältnisse betrachtet.

Foto eines Gülleverteilenden Güllfasses
Das Puddelfass, lange Zeit die
einzige Düngung der Felder

Die mineralische Düngung und der chemische Pflanzenschutz lösen bei den Landwirten der heutigen Generation einen Gewissenskonflikt aus. Einerseits versucht man aus Gründen des gestiegenen Umweltbewußtseins und immer höher steigender finanzieller Belastungen den Einsatz so gering wie möglich zu halten (z.B. durch Bandspritzeinrichtungen oder Schadschwellen), andererseits fordert die EG mittlerweile Qualitätsmerkmale (z.B. Proteingehalte), die nur über eine gezielte Stickstoffspätdüngung zu erreichen sind.
Die erwähnten arbeitserleichternden, -beschleunigenden. -verbessernden und ertragssteigernden Maßnahmen konnten jedoch trotz allem nicht verhindern, daß die notwendigen Betriebsmittelkosten schneller stiegen als die Erlöse. Der von Gegnern und Kritikern der Landwirt schaff stets hervorgehobene, mit sicherem Ansatz verbundene garantierte Preis bewegte sich zur Ernte 1985 bei Weizen auf dem Niveau von 1952.

Man stelle sich einmal vor, was heute ein Auto kosten würde, wenn alle Rationalisierungsgewinne der Industrie dazu verwandt worden wären, die Preise auf einem Stand von 1952 zu halten.

Diese Entwicklung der auseinanderklaffenden Preis-Kosten-Schere wurde relativ früh erkannt und führte bereits 1955 zur Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes. In § 1 wird die Bundesregierung beauftragt, die Landwirtschaft mit Hilfe der Wirtschafts- und Agrarpolitik in die Lage zu versetzen, ihre naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen. Des weiteren soll die soziale Lage an die vergleichbarer Berufsgruppen angeglichen werden.

Die Zielsetzung wurde bis heute nicht erreicht – ganz im Gegenteil. Der aufgrund dieses Gesetzes jährlich zu erstellende Agrarbericht weist im Verlauf der Jahre eine immer höher steigende Einkommensdisparität aus, die nach den neuesten Zahlen (Agrarbericht 86) über 40 % beträgt.

Immer größere Flächen und immer höhere Erträge sind nötig, um das Einkommen einigermaßen stabil zu halten. Diese Entwicklung, die durch den Eintritt in die EWG ausgelöst wurde, führte zu dem bekannten Problem der Überproduktion, die vom Einzelnen nicht zu verantworten ist. Sie wurde begleitet von einer steigenden Arbeitsbelastung der landwirtschaftlichTätigen, während in anderen Arbeitsbereichen Verkürzungen der Arbeitszeit und längerer Urlaubsanspruch die Regel waren.

Dieser Prozeß erklärt, daß immer mehr Bauernsöhne, die zum Teil als Hofnachfolger vorgesehen waren, der Landwirtschaft den Rücken kehrten. Bauern, die in ihrem Betrieb keine Zukunft mehr sahen und Betriebsleiter ohne Hofnachfolger, die die Altersgrenze erreicht hatten, gaben auf und verpachteten ihre Flächen. Andere vereinfachten die Betriebsstruktur und bewirtschafteten ihren Betrieb im Nebenerwerb.
Waren nach dem Krieg noch etwa 35 Vollerwerbsbetriebe vorhanden, zählt man heute ohne die Gutshöfe nur noch 10 (Nebenerwerb 5). Die Betriebsgröße der Vollerwerbsbetriebe, die heute zwischen 15 und 45 ha liegt, hat sich allerdings nicht in dem Umfang erweitert, in dem Flächen aufgegeben wurden. Für diese Entwicklung ist die Entscheidung einiger Betriebsleiter verantwortlich, Flächen nicht innerhalb des Ortes, sondern an auswärtige Bauern abzugeben. Es entstand unter den hauptberuflichen Landwirten ein regelrechter „Landhunger“, der die Pachtpreise in den letzten fünf Jahren etwa um das Doppelte ansteigen ließ.

Betrachtet man die Altersstuktur von Gronaus landwirtschaftlichen Betrieben hinsichtlich der nächsten 10 bis 20 Jahre, kommt man zu der Vermutung, daß die Anzahl der Vollerwerbs-betriebe auf 2 bis 3 zurückgehen wird.
Diese Entwicklung, die stellvertretend für die Situation der gesamten Landwirtschaft ist, wirft einige Fragen auf. Werden diese wenigen Leute noch in der Lage sein, vor dem Hintergrund einer ständig wachsenden Weltbevölkerung genügend gesunde Nahrungsmittel zu erzeugen? Werden sie unsere Kulturlandschaft erhalten und pflegen können? Ist es ihnen noch möglich, künftige Umweltaufgaben zu übernehmen?

Oder werden sie weiterhin dem verhängnisvollen Zwang des Wachsens oder Weichens ausgesetzt sein? Und bedeutet dies alles möglicherweise das Ende einer in über 1200 Jahren gewachsenen bäuerlichen Landwirtschaft in Gronau und somit das Ende des Dorfes im eigentlichen Sinn des Wortes? Fragen, von denen ich hoffe, die Zukunft werde die ersten drei mit einem deutlichen „Ja“ beantworten. Letzteres wünsche ich uns allen nicht.

aus der Festschrift 1200 Jahre Gronau 1986 der Bad Vilbeler Heimatblätter