von Alfred Fischer

Wenn es im Vogelsberg zur ersten Schneeschmelze kam oder durch Dauerregen das Wasser in den Bächen Nidder und Nidda immer höher wurde und zuletzt über die Ufer trat, zeichnete sich das ab, was wir Kinder uns für den Winter am sehnlichsten wünschten. Wenn dann das Wasser auf den Wiesen so hoch stand, dass man meinte, Gronau läge an einem See und für die nächsten Tage war Frost angesagt, mußte es bald so weit sein.

Voller Ungeduld warteten wir darauf, dass sich eine Eisschicht bildete und konnten es nicht erwarten sie zu betreten. Natürlich brachen wir zunächst im dünnen Eis ein, hatten das aber vorausgesehen und vorsorglich Gummistiefel angezogen. Wenn das Eis dann aber trug konnte es nicht mehr schnell genug gehen. In Windeseile sprach es sich herum und es dauerte nicht lange, bis alles auf den Beinen war, was Schlittschuhe besaß. Oft knackte das Eis noch bei jedem Schritt und es bildeten sich Risse. Gefahr drohte dennoch nicht, denn der Wasserstand unter dem Eis war niedrig und man konnte sich schlimmstenfalls nasse Füße holen wenn man einbrach..

Nun war es in den 60 er Jahren nicht so, dass jeder mit fest montierten Schlittschuhen daherkam, die waren für die meisten unerschwinglich. Selbst normale Schlittschuhe waren teuer und so sah man Modelle, die bereits vor dem Krieg benutzt worden sein mussten.

In einem waren alle gleich, mit einer Klemmeinrichtung wurden sie an der Sohle der Alltagsschuhe befestigt Waren sie nicht fest genug angezurrt oder war die Sohle der Schuhe nicht mehr sonderlich stabil , rächte sich das bei den ersten Schritten. Einer der Schlittschuhe löste sich und auf nur einem Bein geht doch häufig das Gleichgewicht verloren; eine unsanfte Landung auf dem Eis war nicht zu vermeiden. Sehr oft war Kreativität gefragt und so sah man die wildesten Arten der Befestigung mit Stricken und Riemen.

War dann aber der technische Teil der Vorbereitung erledigt, stand dem Schlittschuh- Vergnügen nichts mehr im Wege. Häufig war die Eisfläche kilometerlang und fast ebenso breit. Auf unberührtem Eis konnte man herrlich dahin gleiten. Jung und Alt war auf den Beinen und selbst aus den Nachbargemeinden kamen die Schlittschuhläufer um diese besonderen Bedingungen zu nutzen.

Bilder von alten Schittschuhen
Schlittschuhe vorher und nachher (Rainer-Hoch-gepflegt)

Beliebt war das gemeinsame Schlangenlaufen. Wir hielten uns an den Händen, machten Tempo und schwenkten dann in einem großen Bogen ein. Besonders die hinteren Läufer bekamen so viel Schwung, dass sie sich nicht mehr halten konnten und mit hoher Geschwindigkeit davonjagten. Man mußte schon ein sicherer Läufer sein um nicht zu stürzen. Wenn es aber doch geschah rutschte man eben auf dem Hosenboden, es gab ja genügend Auslauffläche.

Besonders die ältere Jugend und an den Wochenende auch viele Erwachsene spielten begeistert Eishockey. Schnell wurden zwei Mannschaften gebildet, Kleidungsstücke markierten die Tore und es ging los. Nur selten sah man Schläger wie sie die Profis benutzen. Äste von Weiden, die in großer Zahl an den Bachufern wuchsen, mussten als Material dafür herhalten. Schon vor der Eislaufsaison hatten wir uns entsprechend versorgt und geeignete Abzweige abgeschnitten. Daß die Form des entstandenen Schlägers oft nicht ideal war, tat dem Spaß an der Betätigung keinen Abbruch.

Nach einem Tag auf dem Eis fiel ich abends totmüde ins Bett. Ich konnte das Ende des Schultages kaum erwarten und nutzte jede Minute zum Laufen. Denn schnell, für uns viel zu schnell lief das Wasser unter dem Eis in die Nidder zurück. Es ließ hohles Eis zurück, das wellig, stumpf und löchrig auf den Wiesen lag. Nutzbare Flächen wurden immer kleiner und einsetzendes Tauwetter tat ein Übriges.

Man konnte nur hoffen, dass der Winter zurückkam. Wenn nicht, freuten wir uns auf das nächste Jahr und die Schlittschuhe landeten eingefettet auf dem Dachboden.