Unsere Baracke, in der wir in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in Gronau untergekommen waren, bestand aus fünf Räumen.
Den Eingangsbereich bildete ein rechtwinkliger Flur. Von diesem ging es zunächst nach rechts ab in die Werkstatt, Opa`s Heiligtum. Hier hingen und standen seine Werkzeuge, die es als Schreiner und Glaser so brauchte.
Ein wichtiges Werkzeug meines Großvaters, der Diamant-Glasschneider
Eine große Hobelbank, eine große Holzkiste, die ehemalige „Feldkiste“ (aus Wehrmachtsbeständen), sowie ein Metall-Schrank mit Glasfenstern bildeten die Einrichtung. Ferner war in der Werkstatt eine Kabine eingebaut in der die Toilette untergebracht war. Später hatte Opa dort noch eine Abtrennung für ein Badezimmerchen eingebaut.
Die Werkstatt war nicht nur für die Schreiner- und Glaserarbeiten da, sie war gleichzeitig auch Friseursalon für die männliche Einwohnerschaft unseres Dorfes. Ein zentral aufgestellter Küchenstuhl, ein Umhang, eine handbetriebene Haarschneidemaschine, und Opas Kunstfertigkeit im Haareschneiden brachten die Frisuren der bäuerlichen Bevölkerung in Form. Gleichzeitig war hier natürlich auch die Nachrichtenzentrale des Dorfes. Die erwähnte Feldkiste beherbergte zeitweise die Gemeinde-Bibliothek. Meine Großmutter hatte, woher auch immer, etliche Bücher aufgetrieben, die an die Gronauer Jugend ausgeliehen wurden. Selbstverständlich wurde über die Ausleihe in einem Karteikasten penibel Buch geführt.
Damit wurde fast das ganze „männliche“ Dorf frisiert
Der zweite wichtige Raum, sozusagen die „Zentrale“ unserer Baracke, war die Küche. Hier wurde Werktags gelebt, er war gleichzeitig zum Kochen zum Essen, zur alltäglichen Körperpflege, als Radiohörplatz, zum täglichen Plausch wie zum Aufenthalt genutzt.In der Küche stand ein großer Kohleherd, mit dem alle Zimmer beheizt wurden. In der guten Stube stand noch ein kleinerer Kohleofen, der aber nur an hohen Feiertagen angefeuert wurde.
Ein gusseisernes Waschbecken in der Küche war unser Badezimmer. Hier wurden wir Buben mit kaltem Wasser abgeschruppt. Wenn wir stärker verschmutzt waren, was eigentlich täglich der Fall war, konnte es sein, daß wir auch mal mit warmem Wasser abgewaschen wurden.
Der Küchenherd hatte seitlich einen kleinen Behälter, „Schiffchen“ genannt, darin wurde Warmwasser bereitet. Mit einer Schöpfkelle entnahm Oma diesem Behältnis etwas warmes Wasser, füllte dies in eine Zinkschüssel, mischte es mit kaltem Wasser, nahm einen Waschlappen, und rieb uns gründlich damit ab. Diese Prozedur ging nicht ohne Widerstand vonstatten, zumindest rief sie unsererseits heftigen Protest hervor, noch dazu, wenn Oma Kernseife in den Waschlappen gerieben hatte. Diese schmeckte nicht nur scheußlich, nein, sie brannte auch in den Augen. Anschließend wurden wir ordentlich gekämmt, ein streng gezogener Seitenscheitel war damals groß in Mode, vorne wurden die Haare mit einem Klämmerchen gehalten.Seitlich und hinten waren die Haare kurz geschoren, ganz nach alter Väter Sitte.
Von der Küche kam man in die anderen Räume. Ging man nach rechts, kam man in das Schlafzimmer der Großeltern, ging man nach links, kam zunächst die gute Stube, die auch gleichzeitig das Schlafzimmer der Urgroßmutter war.
Uroma schlief auf einer „Schässlong“, die eigentlich Chaiselongue geschrieben wird.
Hier stand der große Esstisch und der repräsentative Schreibtisch, den Oma benutzte, wenn sie auf ihrer Koffer-Schreibmaschine, Modell „Erika“, Schreiben für die Bauern aufsetzte. Sozusagen das Büro des Ortes Gronau. Die meisten der Gronauer Landwirte waren im Formulieren hochdeutscher Texte eher ungeübt. Sie waren froh jemanden zu haben wir Ihnen diese Arbeit abnahm. Wenn es darum ging Schreiben an Behörden, Versicherungen, Landratsamt oder Ähnliches aufzusetzen brachten die „Klienten“ gerne mal ein Stück Speck, Schinken oder eine Leberwurst als Gegenleistung mit.
Gleichzeitig war das Büro auch AOK-Versicherungsagentur, denn unsere Oma betrieb auch die Zweigstelle der allgemeinen Ortskrankenkasse in Gronau. Wer einen Krankenschein wollte, um zum Arzt gehen zu können, musste bei uns vorsprechen.
Desweiteren war es gleichzeitig auch die Agentur der „Allianz-Versicherung“, die gegen Feuer, Hagelschlag, Räude, Kartoffelfäule, Bruccelose und was sonst noch alles passieren konnte, Policen anbot.
Außerdem stand auch noch ein riesiger Wohnzimmerschrank, kunstvoll verziert im Stil der zwanziger Jahre, mit einem verglasten Schau-Oberschrank in dem eher kleinen Raum.
Durchquerte man die die „Stubb“ bzw. das Büro kam man in unser Kinderzimmer.
Die Einrichtung unseres Kinderzimmers war eher spärlich, sie bestand im Wesentlichen aus zwei Betten, sowie aus unserem Kaufladen, den mein Großvater mit seinen eigenen Händen gebaut hatte.
Unser Kaufladen
Eine Kredenz, die eigentlich zum Wohnzimmer-Ensemble gehörte, verwahrte unsere Garderobe.
Diese war, der schlechten Zeiten wegen, sehr eingeschränkt. Im Sommer trugen wir im ganztägig kurze Lederhosen, vielleicht gerade noch ein kurzes Hemdchen. Da es für die kalte Jahreszeit keinen langen Hosen gab, bekamen wir lange Strümpfe angezogen, die von einem Leibchen gehalten wurden. Darüber wurde dann die bekannte Lederhose gezogen. Ein selbstgestricktes Jäckchen, fertig war die Winterbekleidung.
Auch unser Schuhwerk war, der Not gehorchend, mehr als einfach. Wenn Rainer aus seinen Schuhen herausgewachsen war, wurden diese an mich weiter gereicht. Im Sommer liefen wir grundsätzlich barfuß, mangels Sandalen. Für Herbst und Winter waren halbhohe Schnürstiefel angesagt, die mit langen Schnürsenkeln über Krampen geschnürt wurden. Diese Krampen verbogen sich sehr leicht, so daß ein Einfädeln manchmal sehr schwierig war. Man musste diese dann aufbiegen, wobei sie häufig abbrachen, dadurch wurde das Schnüren noch schwieriger bis unmöglich. Oft waren die Schuhe auch zu klein, was zu schmerzhaften kaltem Zehen besonders in den Wintern führte.
Selbst gestrickte Wollmützen und Schals sowie auch Handschuhe wurden aus Wollresten von Uroma selbst gestrickt. Manchmal bekamen wir auch einen Muff aus Hasenfell, wenn die Hände mal wieder ganz besonders kalt waren. Das war aber eher etwas für Mädchen und wurde daher strickt von uns abgelehnt
Die ebenerdige Bauweise der Baracke war für uns Kinder von großem Vorteil, bestand doch die Möglichkeit auf mehreren Wegen in unser Zimmer zu gelangen, zum einen indem wir, wie vorgesehen die Tür und den Flur benutzten, zum Anderen war es uns möglich durch die Fenster in unser Zimmer zu gelangen, sodass wir des Öfteren ungesehen von Erwachsenen ein- und ausgehen konnten.
Die Lebensumsände waren damals, gemessen an heutigen Maßstäben, mehr als ärmlich und einfach, aber da es den Wenigsten besser ging, wir es nicht anders kannten, haben wir eine wunderschöne Kindheit erlebt!
GRONAU eben!