Unsere Gronauer / Vilbeler Gegend
als Übungsfeld für Schlachten
zusammengetragen von Hansfried Münchberg
Mir ist, als unmittelbar nach dem Kriege in Vilbel geborenem Knirps, in lebhafter Erinnerung, wie die damaligen Besatzer, die amerikanischen Truppen, bei Manövern durch unsere Dörfer zogen. Ich erinnere mich an schier endlose Panzerkolonnen, Sherman und Patton-Panzer, Jeeps mit offenem Verdeck und aufmontierter Maschinengewehr-Lafette, links und rechts hingen die Patronengurte herunter, die blubbernden Motoren der Reo -Trucks, mit 12 Zylinder-Motoren ausgerüstete LKW mit auf der Ladefläche aufgesessener Mannschaft, bis an die Zähne bewaffnet. Diese Manöverübungen, insbesondere die Märsche der motorisierten Kolonnen wurden gerne auch nachts durchgeführt, so daß wir Buben von den Erschütterungen die von Weitem zu erahnen waren schnell aus den Betten gerissen waren, Amis gucken!
Es kam des Öfteren vor, daß die Gefechtsübung und auch die Pausen mitten im Dorf stattfand. Unser Gemüsegarten diente auch gerne mal als Biwak, er war von der dicken Sandsteinmauer umgeben, schließlich war hier ein Jahrhundert vorher er alte Gronauer Friedhof. Die Mauer bot einem „kämpfenden“ Soldaten einen guten Sichtschutz und Deckung.
Erst seit ich mich durch alte Zeitungsberichte über Vilbeler und Umgebung durchackere, ist mir bewusst geworden daß die liebliche Landschaft der „Berger Höhe“ der Bereich zwischen Bergen und Vilbel im Westen und Kilianstädten bis Maintal / Bruchköbel im Osten, nach Norden von Nidda und Nidder begrenzt nicht nur verschiedene Male Schauplatz von erbitterten Schlachten war, (als Schlimmstes die Schlacht um Bergen im Jahr 1759)) sondern auch, insbesondere in der Kaiserzeit immer wieder Schauplatz von kleineren, oft aber sehr großen Manöver-Übungen war. Eine Rolle dürfte dabei die Tatsache gespielt haben, daß im nahe gelegenen Homburg v.d.H. einige sehr ansehnliche Unterkünfte für die hohen Herrschaften zur Verfügung standen, deren Annehmlichkeiten man sich nach getaner Schlacht gerne hingab. Die Anreise zum Schlachtfeld geschah dann mittels Eisenbahn zum Bahnhof Vilbel oder im offenen Vierspänner. Ein weiterer Grund für die Wahl des Übungsgeländes dürfte der hervorragende Blick den man von den Vilbeler Höhen über das Mittelfeld / Bornfeld in die Landschaft Richtung Westen, Norden, Süden hat.
So beschreibt das Echo der Gegenwart am 6.September 1869 das schon an Theateraufführung gemahnende Schauspiel: Frankfurt a.., 2. Sept. Seit einigen Tagen manövrieren hier und in der Umgegend die Truppen der 21. (preußischen) und 25.(hessischen) Division. Der Kanonen Donner und das Geknatter der Zündnadelgewehre wollen gar kein Ende nehmen und mögen manchem Frankfurter nicht eben angenehme Erinnerungen erwecken. Indes, zum Glück geht es doch diesmal weit harmloser zu, als in dem hier noch immer so wenig verschmerzten Jahre 1866, da bei der gestrigen großen Schlacht, welche zwischen„Preußen und Darmstädter“ stattfand, die einzigen Toten und Verwundeten die— Hasen waren, welche durch das fortwährende Donnern der Geschütze so in Verwirrung gerieten, daß sie wie Hunde dem Publikum zwischen die Beine liefen und dann natürlich von diesem mit Stöcken und Steinen verfolgt und zum Teil auch gar grausam erreicht wurden. Was nun die Schlacht betrifft, so bildete den Kriegsschauplatz eine große Ebene in der Umgegend von Vilbel, welche die erforderlichen Hindernisse in reichem Maße bot und von den Zuschauern auf den Höhen vollständig übersehen werden konnte, so daß man mit einem guten Fernrohr sämtliche Operationen zu verfolgen im Stande war. Es hatte sich auch eine große Masse Publikum eingefunden, um sich dieses militärische Schauspiel anzusehen. Auch fremde Offiziere waren vertreten, wir bemerkten bei der Generalität einen englischen General mit 2 Adjutanten, 2 französische Generale mit Adjutanten und 2 Offiziere aus Rumänien. Nach Beendigung des Gefechts haben die Truppen bei Vilbel Biwak bezogen, um am andern Morgen, dem Haupt=Manöver=Tage, wieder sofort schlagfertig zu sein. Inzwischen ist gestern Abend mittelst Extrazuges Se. Majestät der König hier eingetroffen und hat sich derselbe heute Morgen 6 Uhr auf den Manöverplatz begeben, um dem heutigen Gefecht beizuwohnen. Dasselbe wurde in Folge der gestrigen Probe äußerst exakt ausgeführt und dauerte bis Nachmittags um 2 Uhr, wiederum unter großer Beteiligung des Publikums.
Die deutschlandweite Presse berichtet u.a. für die Jahre 1849, 1850, 1851, 1860, 1866, 1869, 1883, 1885 und 1897 von derartigen Kriegsspielereien, die von 1897 und …… als Kaisermanöver deklariert, also mit besonders großen Aufwand, Truppen aus dem ganzen Deutschen Reich, unter allerhöchster, kaiserlicher Führung.
Es gibt darunter einige sehr ausführliche Presseberichte, der Reporter war offenbar mehrere Tage bei den Truppen im Felde und schildert anschaulich nicht nur die Truppenbewegungen sondern auch die Strapazen, denen die gemeinen Soldaten dabei ausgesetzt waren. Einige Beispiele sollen, der Übersichtlichkeit halber genügen.
Das Bonner Wochenblatt berichtet 1850 aus Frankfurt: „Die gesamte hiesige Besatzung, das königl. preuß. Militär, die österreichische Kavallerie, das Jäger-Bataillon rücken zu einem Manöver nach Bergen / Vilbel aus.
Sehr detailliert schildert die „Allgemeine Militärzeitung“ in einem Bericht aus dem Jahr 1869 die Herbst-Truppenübungen der großherzoglich hessischen Division. Als Beobachter zu Gast war König Wilhelm von Preußen.
Ost-Division – von Kleinkarben aus sollte 1 Teil, nämlich 3 Bataillone, 2 Schwadronen, ½ Pionier-Kompanie, ½ Feldbrückentrain von Kleinkarben auf Oberdorfelden marschieren, sich dort mit der von Kilianstädten anrückenden Verstärkung vereinigen um dann Richtung Niederdorfelden vorzurücken. Gleichzeitig sollten die restlichen Teile der Ost Division also 5 Bataillone, 2 Fuß-Batterien, ½ Pionier-Kompanie und ½ Feldbrückentrain in gerader Richtung über Rendel nach Niederdorfelden vordringen. Die Pioniere hatten bereits westlich und östlich von Niederdorfelden 2 Brücken über die Nidder geschlagen.
Die West-Division hatte dort bereits die Nidda überquert und war zwischen Rendel und Niederdorfelden in Richtung Oberdorfelden vorgerückt.
Die Nacht vom 2. auf den 3. September wurde teilweise südwestlich von Niederdorfelden, teilweise nach Gronau hin, teilweise auf dem rechten Ufer der Nidder südlich von Rendel ein Biwak aufgeschlagen.
Es wurde angenommen, der (Manöver-)Feind stünde auf den Höhen nordwestlich von Bergen.
Das eigentliche Schlachtfeld stellten die Hügel zwischen Bischofsheim, Gronau, Niederdorfelden, Vilbel und Bergen dar. Die „Bissel“, der „Heilberg“, der „Thalberg“, das „Mittelfeld“, die „Baumlohe“, die „große und die kleine Loh“, die „Nachtweide“, die Kuppe am „Hohenstein“, der Frankfurter Weg von Gronau nach Bergen, sowie der Vilbeler Wald waren Schauplätze von Scharmützeln. Sowohl Kavallerie, als auch Artillerie, Infanterie und des Jäger-Bataillon waren als Manöver-Teilnehmer involviert.
Zum Abschluß, bevor die Truppenteile in ihre Garnisonen zurückkehrten, ließ der König von Preußen, sichtlich mit dem Verlauf zufrieden, noch die gesamte Kavallerie und die reitende Artillerie in einem Defilee vorbeiziehen.
Beim Manöver im Jahr 1883 waren der deutsche Kaiser, der König von Sachsen, die Frau Kronprinzessin, der Prinz von Wales, der Herzog von Cambridge sowie der Kronprinz von Portugal als Beobachter zugegen. Sie wohnten in Homburg und kamen per Bahn nach Vilbel, „direkt in das Manöver-Terrain“ wie die „Berliner Börsenzeitung“ von 1883 meldete.
Das größte Manöver der Kaiserzeit war jenes im Jahre 1897, es spielte sich ab im Großraum zwischen Frankfurt und Würzburg, unsere Vilbel / Hanauer Gegend war ganz besonders betroffen. An dieser Übung nahmen insgesamt 36 000 Soldaten mit 8300 Pferden teil.
Prominente nationale und internationale Beobachter waren aufgeboten, der Kaiser wollte wohl auch ein wenig angeben. Unter den Gästen waren neben dem Kaiser und der Kaiserin der König Umberto von Italien mit seiner Gemahlin Königin Margherita, der König von Sachsen, Prinzregent Luitpold von Bayern ebenso Großfürst Nikolaus mit dem greisen Generalstabschef Obrutscheff, Fürst Bismark, ferner der Fürst von Hohenzollern und Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern; auch der Reichskanzler Fürst Hohenlohe nahm trotz des schlechten Wetters im offenen Wagen an der Fahrt teil und blieb stets im Gefolge Ihrer Majestät der Kaiserin.
Eingeladen als militärische Beobachter waren Vertreter der russischen, österreichischen, französischen, englischen, italienischen, türkischen und sogar der japanischen Armee.
Eine so gewaltige Anzahl an Soldaten und Pferden, auf vergleichsweise engem Raum, brachte natürlich auch eine große Belastung in Sachen Verpflegung mit sich. Alleine für die Pferde muss man 83 Tonnen Heu pro Tag rechnen, Die Soldaten brauchen Stroh für das Biwak, damit sie nicht auf dem Boden schlafen müssen, Brot, Schmalz, Wurst usw. in großen Mengen müssen herangeschafft werden. Der „Hanauer Anzeiger“ berichtet: „Im Nu gab es kein Bier, keine Zigaretten mehr. Kein Metzger, kein Bäcker der noch was Eßbares vorrätig hatte heißt es in einem Augenzeugenbericht.“
Der Reporter des „Dresdner Journal“ aus dem Jahr 1897 schreibt:
Vom 10. September wird über das Biwak berichtet: Wenn mittags oder manches Mal auch erst am Nachmittag „Das Ganze halt!“ geblasen worden, dann erst kommt der Mensch im Krieger zum Wort und die Armeeverwaltungsbehörden müssen zeigen, ob sie imstande sind, für die Unterkunft und Verpflegung so ungeheurer Massen zu sorgen. Diesmal eine besonders schwere Aufgabe! Galt es doch, ein ganzes Armeecorps innerhalb eines verhältnismäßig kleinen Raumes unterzubringen und für die Verproviantierung von Mann und Roß zu sorgen. Das Wetter war gestern so schlecht als möglich. Schwere Regengüsse wechselten mit feinem Sprühregen, und so mancher mochte bis zum letzten Augenblick auf den erwünschten Befehl „Notquartiere“ gehofft haben, ist doch der miserabelste Heuboden und eine trockene Pferdedecke besser als der nasse Mantel und etwas Stroh auf nassem Lehmboden. Aber sei es, daß die gewaltige Heeresmasse nicht so weit dislociert werden konnte, um allen Quartiere zu gewähren — hieß es doch heut morgen wieder vor Tage: Hinaus zum Kampf — sei es, daß die Fiktion des Kriegsmäßigen so weit als irgend angängig in jeder Beziehung gewahrt werden sollte, genug, das Gros aller Corps biwakierte auf einer langen Linie Freund und Feind hatten sich vereinigt: denn morgen sollten ja alle vier Corps gegen einen markierten Feind fechten. Abends war es naß und kühl. Stille herrschte ringsum, nur hier und da blitzte vom Homburger Schloßturm ein Licht über das dunkle Feld, die optische Telegraphie arbeitete wieder. Je mehr man sich der Linie Vilbel-Friedberg näherte, desto lebhafter wurde es. Reiterpatrouillen, lange Züge gemieteter Bauernwagen mit Holz, Heu und Stroh zogen langsam ihres Weges, geleitet von Infanteristen, die, müde und naß, den Kragen hochgeschlagen, das Gewehr am Riemen übergehängt, hinterdrein marschierten In den Dörfern war kein Durchkommen. Die Straßen waren von einem wahren Chaos von Proviantwagen, Leiterwagen, Reitern und Fußtruppen gesperrt. Kommandorufe, Schelten der Kutscher hallten durch die Nacht. Hinter den kleinen Fenstern der Bauernhäuser war Licht, aus den Schenken schallte Gesang.
Hinter den Dörfern in einer weiten Talmulde zeigte sich ein fesselndes Bild. Im Dunkel verstreut erblickte man Hunderte von Lichtpunkten, fast wie wenn man eine große Stadt mit ihren erleuchteten Häusern in der Tiefe liegen sähe. Beim Näherkommen wurden die Lichter zu lodernden Feuersäulen. Compagnie neben Compagnie, Regiment neben Regiment, Infanterie, Kavallerie und Artillerie, hatten sich die Truppen niedergelassen. Vornan, im Dunkel, gegen den Feind zu, die zusammengestellten Gewehre, die Fahne mit der einsam auf und ab patroullierenden Fahnenwache, dahinter, wohl aufgerichtet, die abgelegten Tornister und Helme. Nach der andern Seite zu die niedrigen Zelte von braunem, wasserdichtem Segeltuch, gerade hoch genug, um hinunter zu kriechen, so gut es anging, mit Stroh ausgepolstert und gegen den Zug von außen mit aufgeworfener Erde belegt. Im Hintergrund die Marketenderkarren, die zum großen Teil schon „ausverkauft“ zu haben schienen, denn viel Zuspruch hatten sie nicht mehr. In der Mitte aber die flammenden Wachtfeuer und um sie herum die Mannschaften, in Mänteln und Mützen, nur den Brotbeutel und die Feldflaschen umgehängt, die kurze Pfeife oder die Zigarre im Munde, die Hände ans Feuer haltend. Die Leute standen um die Feuer herum, hinlegen war bei der schlammigen Nässe des Bodens unmöglich, trotzdem gewiß mancher sich danach sehnte. Hatten doch alle einen schweren Tag hinter sich und gewiß hatten viele Compagnien es sich trotz der Ungunst der Witterung am kurzen Nachmittag nicht nehmen lassen, nach alter Sitte die „Löffel“ der zur Reserve abgehenden Mannschaften „zu begraben“. Aber über manchem Feuer hing der große Compagniekessel, und drinnen brodelte schon das Wasser für den von der Compagniekasse gestifteten Kaffee oder gar zu einem Riesengrog. Die Offiziere standen unter ihren Leuten und allenthalben bemerkte man, wie sie, Leid und Freud der Mannschaften teilend, durch guten Zuspruch und freundliche Worte über die Beschwerden des Lagerlebens hinweg zu helfen suchten. So schallte denn auch manches lustige und schwermütige alte Soldaten- oder Volkslied aus kräftigen Kehlen in die Nacht, bis der große Zapfenstreich alles zwar nicht „zu Bett“, aber aufs feuchte Strohlager rief.—
Eine kleine Episode berichtet der Dortmunder General – Anzeiger vom 9.9.1897
Natürlich wurden durch die über die feuchten herbstlichen Lehmböden der Wetterau galoppieren Pferde, die schweren Gespanne, die von 8 bis 12 Pferden gezogenen Kanonen und die tausenden Füße der Soldaten auch große Flurschäden angerichtet. Zahlenmäßig überliefert ist zum Beispiel aus Heldenbergen eine Schadenssumme von 113 790,89 Goldmark.
Quellen: Deutsches Zeitungs Portal, Deutches Zeitungs-Archiv, Digi-Press, bayerische Staatsbibliothek